Freitag, 17. Juni 2016

Von Triest über Rijeka zu den Plitwitzer Seen

Wir haben gut geschlafen, nach der Morgentoilette bereitet Illa Tee und Kaffee auf dem Gasherd, wir haben beide nach dem gestrigen Schlemmermahl keinen grossen Hunger und packen eines der typischen italienischen Hörnchen mit Fruchtfüllung aus seiner Plastikhülle, welche am Frühstücksbuffet bereitliegen. Diese haltbaren Dinger gibt es ja auch bei uns zu kaufen und sie schmecken überraschend gut.   Es ist so ein richtiges italienisches Frühstück, denn so frugal die Italiener des abends essen, am Morgen genügt ein schneller Espresso mit irgendeinem «Dolce» an einer der vielen Bars.
Wenig später sitzen wir im Auto und das Navi führt uns über kleine Landstrassen in die Berge, wir haben Triest quasi durch den Hintereingang verlassen, einige kleine Dörfer, plötzlich ein leeres Zollgebäude und wir sind in Slowenien. Angesichts des unmittelbaren Plebiszits über den Brexit in England realisieren wir in diesem Moment wieder ein Mal, was die EU für uns bedeutet, zum Beispiel freie Fahrt ohne Stopp. Zuerst ein Mal keine grossen Unterschiede, wir befinden uns rund um Triest in einem slawisch-romanischen Kulturraum, der stark durch die Habsburger geprägt wurde. Nur die vielen Holzbuden neben der Strasse fallen auf, sie alle sind Wechselstuben, die gerne ins Geschäft kommen wollen. Auch sind die slowenischen Behörden sehr restriktiv, was die Geschwindigkeitsvorschriften anbetrifft, oft werden ausserorts 60 km/h an Stellen  gefordert, wo man keinen Sinn darin sieht. Aber vielleicht kennen sie ihre "balkanesischen Pappenheimer" - auch dies ein politisch unkorrektes Cliché und steuern gegen. So kommen wir nur langsam vorwärts, die Strasse windet sich in zahlreichen Serpentinen über Hügel, durch Wiesen und Wälder, bis wir auf die Autobahn nach Rijeka stossen.
Blick auf die Adria oberhalb von Rijeka
Eine halbe Stunde später sind wir an der ersten «echten» Grenze, was sich durch eine lange Autoschlange vor dem Schalter der Grenzpolizei manifestiert. Als wir endlich drankommen, sehen wir uns einem wenig freundlichen Beamten gegenüber, der etwas barsch unsere Pässe verlangt. Er schiebt zuerst meine Identitätskasrte in den Schliitz einer Maschine, dann diejenige von Illa, worauf er stutzt. «Your wifes card has expired» sagt er vorwurfsvoll zu mir und mir fällt das Herz augenblickich in die Hose. Vor meinen Augen sehe ich peinliche Telefonanrufe bei diversen kroatischen Wirten, wir könnten unsere Reservationen nicht wahrnehmen. In meiner Not stammle ich etwas von «Golden Wedding trip» und plötzlich hellt sich das Gesicht des
Illas erstes kroatisches Bier
grimmigen Mannes auf, er reicht mir unsere Karten und sagt «You can go and good luck to you».
 Irgendwann geht es über eine Hügelkuppe und dann liegt es vor uns in seiner blauen Pracht, das Mittelmeer und an seinem Ufer unter uns die Stadt Rijeka, die auf Italienisch Fiume heisst. Wir halten an einer Autoraststätte oberhalb der Stadt, setzen uns an ein kleines Tischchen unter einem der Sonnenschirme und eine freundliche Slowenin bringt uns die ersten zwei Fläschchen eines kroatischen Biers, herrlich frisch und kalt und mit genau dieser Hopfenbitterkeit, die wir so lieben. Eine halbe Stunde später bringt uns das Navi im zweiten Anlauf zur «Konuba Nebuloza», die ich bereits
Von aussen wenig einladend, die "Konuba Nebuloza"
zuhause für dieses Mittagessen ausgesucht hatte. Wir sind durch die Information von Tripadvisor vorgewarnt, man solle sich durch das schäbige Aeussere der Liegenschaft nicht abschrecken lassen. Wir beherzigen den Rat und müssen es nicht bereuen: ein freundlicher Kellner lotst uns im Hinterzimmer an einen schön gedeckten Fenstertisch, von wo wir einen Blick auf das strudelnde Wasser des Gebirgsflüsschens Rjjecina haben. Aus der Karte wählen wir spontan ein «Confit de Canard», welches mit einer mit Zimt und Orange parfümierten Sauce serviert wird, dazu schmackhafte Purees aus Sellerie und roter Beete und als Highlight kandierte und karamelisiert gebratene Schnitze von
Confit de Canard à la Nebuloza
Orangenhaut. Dieses Gericht muss sich vor seinen Schwestern aus dem Perigord nicht verstecken und ich muss wieder ein Mal konstatieren, dass sich mit den Tipps von Tripadvisor gut reisen lässt.
Gut gesättigt und entsprechend zufrieden programmiere ich das Navi auf unser nächstes Ziel, die Villa Mukinja in Plitvicka Jezera, mitten in einem der schönsten Naturparks Europas. Diese bergige Karstgegend mit den Plitwitzer Seen ist so schöne und bizarr, sie ähnelt an manchen Stellen auch Gebieten in den Rocky Mountains, dass sie anfangs der Sechzigerjahre vom deutschen Filmproduzenten Horst Wendland für die Verfilmung des Karl May-Romans «Der Schatz im Silbersee» gewählt wurde. Der Film wurde ein solcher Erfolg, dass danach zahlreiche weitere Verfilmungen folgten, der französische Schauspieler Pierre Brice, mit eigentlichem Namen Pierre Louis Baron Le Bris, wurde dabei als «Winnetou» weltberühmt.  
Die Spuren der Kämpfe sind noch deutlich zu sehen
Bei Karlovac verlassen wir die Autobahn und nun zieht sich eine immer enger werdende Strasse in Serpentinen durch Waldtäler, es wechseln grüne Wiesen mit wilden, einsamen Wäldern ab, nur selten durchfahren wir ein Dorf. In diesen Dörfern gibt es auffallend viele neue Häuser, viele von ihnen noch im Rohbau und unverputzt. Dazwischen immer wieder Ruinen, aus denen junge Bäume durch das eingestürzte Dach ragen, ein Mal sehen wir auch eine Mauer mit vielen Einschüssen, etwas später liegt am Strassenrand ein zerschossener Panzer. Offensichtlich fahren wir durch ein ehemaliges Kriegsgebiet.

Endlich kommt ein Schild, welches die Grenze des Naturparks anzeigt. Wir fahren durch dichten Wald, das Navi leitet uns auf ein kleines Natursträsschen, will dann, das wir einen steilen Fussweg mit Steinstufen hinauffahren. Zwei alte Frauen, die vor einem Bauernhaus stricken, erklären mir, dass ich auf die Strasse zurückmuss, und plötzlich weiss dies auch das Navi, fünf Minuten später fahren wir vor der Villa Mukinja vor. Später finde ich übrigens heraus, dass ich das Navi an diesem Tag auf Fussgänger-Modus eingestellt hatte. Wenn Computer spinnen, dann ist es nur zu oft der ihn bedienende Mensch und nicht die Maschine. Eigentlich ist immer der Mensch schuld, denn ist es nicht der Bediener, dann war es entweder der Hersteller der Hard- oder der Software. Früher ist mir einmal der Gedanke gekommen, dass der Spruch "Cogito ergo sum", Grundlage der Philosophie von René Descartes, in der heutigen Zeit nicht mehr anwendbar ist. Sollten Computer eines Tages im Sinne von artificial intelligence vom Menschen nicht mehr unterscheidbar sein, dann gibt es zur Rettung der Menschenwürde nur noch eine Option: statt zu sagen "ich denke, darum bin ich", muss ich sagen "non cogito ergo sum". Denn die Maschine ist dazu verdammt, die ihr eingepflanzte Software auszuführen, solange sie nicht kaputt geht. Der Mensch ist im Gegensatz dazu mit einem freien Willen ausgestattet, der es ihm erlaubt, auch unlogisch zu handeln. Leider hat dies manchmal auch schreckliche Folgen, wie die zerstörten Häuser entlang der Strasse heute zeigten.

Durch ein massives Tor treten wir in den Hof der Villa Mukinja in den Garten ein, der mit vielen Büschen bestückt ist, ein junges Mädchen empfängt uns freundlich, kurz darauf auch ihr sympathischer Vater. Dieser erklärt uns in gutem Deutsch, dass er Volkswirtschaft studiert hat, jedoch nun diese Pension zusammen mit seinen Töchtern führt. Alles ist ordentlich in diesem Haus, unser Zimmer ist einwandfrei, desgleichen die sanitären Einrichtungen. Da es erst vier Uhr ist, möchten wir gerne noch die Seen besuchen. Das junge Mädchen beginnt mit der Planung einer aufwändigen Wanderung, als sie aber hört, dass wir bereits morgen früh weiterfahren wollen – schliesslich haben wir in Dubrovnik reserviert und dass wir auch altersmässig nicht mehr so fit sind -entwirft sie ein massgeschneidertes Programm. Dieses Mädchen ist nicht nur freundlich, es ist auch äusserst hübsch und zudem noch intelligent, denn die Art, wie sie auf einem Stück Papier die Route für uns
aufzeichnet, lässt vermuten, dass sie auch komplexere Probleme der darstellenden Geometrie meistern kann. Wie sagt ein ordinäres Sprichwort ? "Der Hergott sch... immer auf den grössten Haufen!" Auf ihren Rat fahren wir nur wenige Kilometer bis zum Eingang 2 des Parks, ich stelle den Wagen auf dem grossen Parkplatz ab, wir überqueren die stark befahrene Strasse mit Mühe, hinüber zu den grossen, im lokal ethnischen Stil gebauten Holzgebäuden der Parkverwaltung, ich kaufe zwei
Der erste Blick auf einen Teil der Wasserfälle des Nationalparks Plitvicka Jezera
Billets und bereits hundert Meter später stehen wir auf einer Terrasse mit einer überwältigenden Aussicht. Vor uns liegen zwei der Seen, im Hintergrund eine hohe Felswand, von der eine Unzahl von Wasserfällen nach unten fliesst, sie vereinigen sich innerhalb der Wand, bilden neue Wasserfäden, bis sie unten auf den unteren See treffen. Der zweite See, linkerhand gelegen, liegt geringfügig höher und fliesst über zahlreiche kleine Wasserfälle in den ersten ab.

Ein herrlich intensives Grün-Blau
Langsam wandern wir den in Serpentinen verlaufenden Fussweg nach unten, Illa bleibt auf einer Bank am Ufer sitzen, während ich einen holzbeplankten Fussweg benutze, der knapp oberhalb der Stelle, wo die beiden Seen sich treffen, übers Wasser führt. Das Wasser hat eine herrlich grünblaue Farbe und ist so klar, dass die zahlreichen Fische in der Luft zu schweben scheinen. Am anderen Ufer laufe ich der Felswand entlang, dann führen zahlreiche Stiegen um eine Ecke nach unten und dann befinde ich mich am Fuss der Wand mit den vielen Wasserfällen.
Als wir in die Pension zurückkommen – vorher hatte ich beim Wirt das Abendessen bestellt – sehen wir ihn mit seiner anderenTochter beim
Anschnitt des grossen Schinkens durch Wirt und Tochter
Anschneiden eines grossen Schinkens. Er ist gerade dabei, aus dem riesigen Schinken ein viereckiges Stück herauszuschneiden, damit er dieses dann mit der Aufschnittmaschine verwenden kann. Er erklärt uns, dass dieser Schinken 24 Monate gereift ist und als er uns zwei Stücke zur Kostprobe reicht erkennen wir, dass er in der Qualität einem spanischen Patta Negra sehr nahe kommt.
Zum Abendessen bestellen wir natürlich eine Schinkenplatte als Vorspeise, anschliessend werden uns zwei gebratene Forellen auf einer grossen Platte serviert, die kleinere mit weissem Fleisch und Füllung ist sehr gut, doch die grössere rosige Lachsforelle ist eine Wucht! Noch selten haben wir eine Forelle gegessen,
Ein prachtvoller Schinkenteller
deren Haut so knusprig gebraten und deren Inneres so schmackhaft und saftig war. Unser Vergnügen wird nur durch drei junge Japaner getrübt, die am Nebentisch hocken und die zeigen, dass viele ethnologische Clichés heute nicht mehr gültig sind. Solche Vorurteile besagen ja, dass Japaner besonders höflich und zurückhaltend sind. Nun – der eine Japaner im Vordergrund pult zu Illas Entsetzen ohne Scham ausgiebig in seiner Nase, betrachtet den erbohrten Inhalt dann kurz um ihn anschliessend mit sichtlichem Genuss zu verzehren. Der Anblick ist für Illa so schlimm, dass ihr für einen Moment fast der Appetit verdorben wird. Die junge Japanerin ist offensichtlich ziemlich müde, denn plötzlich
Zwei perfekt gebratene Forellen aus dem See
legt sie den Kopf auf den Tisch und schläft, sie muss erst durch den zweiten Kollegen geweckt werden, als der Wirt ihr den Teller mit Forelle servieren will. Dieser zweite Kollege entspricht als einziger dem Cliché, er ist sorgfältig gekleidet, trägt Brille und fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Gesellschaft. Der erste Japaner zeigt, dass er auch noch andere kulinarische Interessen hat, denn alle paar Minuten steht er auf und will von der Wirtstochter Informationen über die Rezepte.
Später stelle ich dem jungen Mädchen, welches unsere Wanderung organisiert hatte, in vorsichtiger Form die Frage, wie es zur Zerstörung der Häuser und Kirchen in dieser Gegend kam. Sie erklärt mir, dass der
Kriegerische Operationen im Gebiet Plitvicka Jezera 1995
Jugoslawienkrieg hier in der Gegend der Plitwitzer Seen im Jahr 1991 begonnen hat, es gab die ersten Toten. Sie spricht mit Bitternis davon, dass dabei nicht nur Serben sondern auch Kroaten schlimme Dinge begangen hätten, ein weiterer Hinweis auf ihre Intelligenz und Objektivität. Im Zimmer gehe ich ins Internet, erfahre, dass der schreckliche Bürgerkrieg, welcher zum Zerfall Jugoslawiens führte, tatsächlich in dieser Gegend begann. ;Mit „Krvavi Uskrs na Plitvicama“ wörtlich: „Blutige Ostern an den Plitvicer Seen“ wird eine bewaffnete Konfrontation zwischen Spezialeinheiten der kroatischen Polizei und serbischen Aufständischen bezeichnet, die sich am Ostersonntag, dem 31. März 1991 ereignete und auf beiden Seiten zu je einem Toten führte. Diese beiden Opfer und ein vorher entgleistes Fussballspiel zwischen einer kroatischen und serbischen Mannschaft waren die Funken, welche das Pulver zur Explosion führten, einem Krieg, dem in den folgenden Jahren 200'000 Menschen zum Opfer fallen sollten. Das obige Bild zeigt Plitvicka Jezera im Zentrum kriegerischer Operationen im Jahr 1995.

Diese wunderschönen Seen befinden sich 150 km südlich von Zagreb, die ethnische Bevölkerungsstruktur ist sehr heterogen, denn seit den Türkenkriegen wurden von den Habsburgern zahlreiche Serben und Wallachen zur Sicherung der Grenze gegen die Osmanen angesiedelt.  Der Nationalpark befand sich 1991 an der Grenze zu serbisch-kontrollierten Gebieten im Süden der Seen, jedoch über Park wachten damals hauptsächlich Kroaten, die der Regierung in Zagreb gegenüber loyal waren.

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