Wir haben gut geschlafen, nach der Morgentoilette bereitet
Illa Tee und Kaffee auf dem Gasherd, wir haben beide nach dem gestrigen
Schlemmermahl keinen grossen Hunger und packen eines der typischen
italienischen Hörnchen mit Fruchtfüllung aus seiner Plastikhülle, welche am Frühstücksbuffet bereitliegen. Diese
haltbaren Dinger gibt es ja auch bei uns zu kaufen und sie schmecken
überraschend gut. Es ist so ein
richtiges italienisches Frühstück, denn so frugal die Italiener des abends
essen, am Morgen genügt ein schneller Espresso mit irgendeinem «Dolce» an einer
der vielen Bars.
Wenig später sitzen wir im Auto
und das Navi führt uns über kleine Landstrassen in die Berge, wir haben Triest
quasi durch den Hintereingang verlassen, einige kleine Dörfer, plötzlich ein
leeres Zollgebäude und wir sind in Slowenien. Angesichts des unmittelbaren
Plebiszits über den Brexit in England realisieren wir in diesem Moment wieder
ein Mal, was die EU für uns bedeutet, zum Beispiel freie Fahrt ohne Stopp. Zuerst
ein Mal keine grossen Unterschiede, wir befinden uns rund um Triest in einem
slawisch-romanischen Kulturraum, der stark durch die Habsburger geprägt
wurde. Nur die vielen Holzbuden neben der Strasse fallen auf, sie alle sind
Wechselstuben, die gerne ins Geschäft kommen wollen. Auch sind die slowenischen Behörden sehr restriktiv, was die Geschwindigkeitsvorschriften
anbetrifft, oft werden ausserorts 60 km/h an Stellen gefordert, wo man keinen Sinn darin sieht. Aber vielleicht kennen sie ihre "balkanesischen Pappenheimer" - auch dies ein politisch unkorrektes Cliché und steuern gegen. So kommen wir nur langsam vorwärts, die Strasse windet sich in
zahlreichen Serpentinen über Hügel, durch Wiesen und Wälder, bis wir auf die
Autobahn nach Rijeka stossen.
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Blick auf die Adria oberhalb von Rijeka |
Eine halbe Stunde später sind wir
an der ersten «echten» Grenze, was sich durch eine lange Autoschlange vor dem
Schalter der Grenzpolizei manifestiert. Als wir endlich drankommen, sehen wir
uns einem wenig freundlichen Beamten gegenüber, der etwas barsch unsere Pässe
verlangt. Er schiebt zuerst meine Identitätskasrte in den Schliitz einer
Maschine, dann diejenige von Illa, worauf er stutzt. «Your wifes card has
expired» sagt er vorwurfsvoll zu mir und mir fällt das Herz augenblickich in
die Hose. Vor meinen Augen sehe ich peinliche Telefonanrufe bei diversen
kroatischen Wirten, wir könnten unsere Reservationen nicht wahrnehmen. In
meiner Not stammle ich etwas von «Golden Wedding trip» und plötzlich hellt sich
das Gesicht des
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Illas erstes kroatisches Bier |
grimmigen Mannes auf, er reicht mir unsere Karten und sagt «You
can go and good luck to you».
Irgendwann geht es über eine Hügelkuppe und
dann liegt es vor uns in seiner blauen Pracht, das Mittelmeer und an seinem
Ufer unter uns die Stadt Rijeka, die auf Italienisch Fiume heisst. Wir halten
an einer Autoraststätte oberhalb der Stadt, setzen uns an ein kleines Tischchen
unter einem der Sonnenschirme und eine freundliche Slowenin bringt uns die
ersten zwei Fläschchen eines kroatischen Biers, herrlich frisch und kalt und
mit genau dieser Hopfenbitterkeit, die wir so lieben. Eine halbe Stunde später
bringt uns das Navi im zweiten Anlauf zur «Konuba Nebuloza», die ich bereits
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Von aussen wenig einladend, die "Konuba Nebuloza" |
zuhause für dieses Mittagessen ausgesucht hatte. Wir sind durch die Information
von Tripadvisor vorgewarnt, man solle sich durch das schäbige Aeussere der
Liegenschaft nicht abschrecken lassen. Wir beherzigen den Rat und müssen es
nicht bereuen: ein freundlicher Kellner lotst uns im Hinterzimmer an einen
schön gedeckten Fenstertisch, von wo wir einen Blick auf das strudelnde Wasser
des Gebirgsflüsschens Rjjecina haben. Aus der Karte wählen wir spontan ein
«Confit de Canard», welches mit einer mit Zimt und Orange parfümierten Sauce
serviert wird, dazu schmackhafte Purees aus Sellerie und roter Beete und als
Highlight kandierte und karamelisiert gebratene Schnitze von
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Confit de Canard à la Nebuloza |
Orangenhaut.
Dieses Gericht muss sich vor seinen Schwestern aus dem Perigord nicht
verstecken und ich muss wieder ein Mal konstatieren, dass sich mit den Tipps
von Tripadvisor gut reisen lässt.
Gut gesättigt und entsprechend
zufrieden programmiere ich das Navi auf unser nächstes Ziel, die Villa Mukinja
in Plitvicka Jezera, mitten in einem der schönsten Naturparks Europas. Diese
bergige Karstgegend mit den Plitwitzer Seen ist so schöne und bizarr, sie
ähnelt an manchen Stellen auch Gebieten in den Rocky Mountains, dass sie anfangs
der Sechzigerjahre vom deutschen Filmproduzenten Horst Wendland für die
Verfilmung des Karl May-Romans «Der Schatz im Silbersee» gewählt wurde. Der
Film wurde ein solcher Erfolg, dass danach zahlreiche weitere Verfilmungen
folgten, der französische Schauspieler Pierre Brice, mit eigentlichem Namen Pierre
Louis Baron Le Bris, wurde dabei als «Winnetou» weltberühmt.
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Die Spuren der Kämpfe sind noch deutlich zu sehen |
Bei Karlovac verlassen wir die
Autobahn und nun zieht sich eine immer enger werdende Strasse in Serpentinen
durch Waldtäler, es wechseln grüne Wiesen mit wilden, einsamen Wäldern ab, nur
selten durchfahren wir ein Dorf. In diesen Dörfern gibt es auffallend viele
neue Häuser, viele von ihnen noch im Rohbau und unverputzt. Dazwischen immer
wieder Ruinen, aus denen junge Bäume durch das eingestürzte Dach ragen, ein Mal
sehen wir auch eine Mauer mit vielen Einschüssen, etwas später liegt am
Strassenrand ein zerschossener Panzer. Offensichtlich fahren wir durch ein
ehemaliges Kriegsgebiet.
Endlich kommt ein Schild, welches
die Grenze des Naturparks anzeigt. Wir fahren durch dichten Wald, das Navi
leitet uns auf ein kleines Natursträsschen, will dann, das wir einen steilen
Fussweg mit Steinstufen hinauffahren. Zwei alte Frauen, die vor einem Bauernhaus stricken, erklären
mir, dass ich auf die Strasse zurückmuss, und plötzlich weiss dies auch das
Navi, fünf Minuten später fahren wir vor der Villa Mukinja vor. Später finde ich übrigens heraus, dass ich das Navi an diesem Tag auf Fussgänger-Modus eingestellt hatte. Wenn Computer spinnen, dann ist es nur zu oft der ihn bedienende Mensch und nicht die Maschine. Eigentlich ist immer der Mensch schuld, denn ist es nicht der Bediener, dann war es entweder der Hersteller der Hard- oder der Software. Früher ist mir einmal der Gedanke gekommen, dass der Spruch "Cogito ergo sum", Grundlage der Philosophie von René Descartes, in der heutigen Zeit nicht mehr anwendbar ist. Sollten Computer eines Tages im Sinne von artificial intelligence vom Menschen nicht mehr unterscheidbar sein, dann gibt es zur Rettung der Menschenwürde nur noch eine Option: statt zu sagen "ich denke, darum bin ich", muss ich sagen "non cogito ergo sum". Denn die Maschine ist dazu verdammt, die ihr eingepflanzte Software auszuführen, solange sie nicht kaputt geht. Der Mensch ist im Gegensatz dazu mit einem freien Willen ausgestattet, der es ihm erlaubt, auch unlogisch zu handeln. Leider hat dies manchmal auch schreckliche Folgen, wie die zerstörten Häuser entlang der Strasse heute zeigten.
Durch ein massives Tor treten wir
in den Hof der Villa Mukinja in den Garten ein, der mit vielen Büschen bestückt ist, ein junges Mädchen empfängt uns freundlich, kurz
darauf auch ihr sympathischer Vater. Dieser erklärt uns in gutem Deutsch, dass er
Volkswirtschaft studiert hat, jedoch nun diese Pension zusammen mit seinen
Töchtern führt. Alles ist ordentlich in diesem Haus, unser Zimmer ist
einwandfrei, desgleichen die sanitären Einrichtungen. Da es erst vier Uhr ist,
möchten wir gerne noch die Seen besuchen. Das junge Mädchen beginnt mit der
Planung einer aufwändigen Wanderung, als sie aber hört, dass wir bereits morgen
früh weiterfahren wollen – schliesslich haben wir in Dubrovnik reserviert und
dass wir auch altersmässig nicht mehr so fit sind -entwirft sie ein
massgeschneidertes Programm. Dieses Mädchen ist nicht nur freundlich,
es ist auch äusserst hübsch und zudem noch intelligent, denn die Art, wie sie auf einem
Stück Papier die Route für uns
aufzeichnet, lässt vermuten, dass sie auch komplexere Probleme der darstellenden Geometrie meistern kann. Wie sagt ein ordinäres Sprichwort ? "Der Hergott sch... immer auf den grössten Haufen!" Auf ihren Rat fahren wir nur
wenige Kilometer bis zum Eingang 2 des Parks, ich stelle den
Wagen auf dem grossen Parkplatz ab, wir überqueren die stark befahrene Strasse
mit Mühe, hinüber zu den grossen, im lokal ethnischen Stil gebauten Holzgebäuden der Parkverwaltung, ich
kaufe zwei
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Der erste Blick auf einen Teil der Wasserfälle des Nationalparks Plitvicka Jezera |
Billets und bereits hundert Meter später stehen wir auf einer
Terrasse mit einer überwältigenden Aussicht. Vor uns liegen zwei der Seen, im
Hintergrund eine hohe Felswand, von der eine Unzahl von Wasserfällen nach unten
fliesst, sie vereinigen sich innerhalb der Wand, bilden neue Wasserfäden, bis sie
unten auf den unteren See treffen. Der zweite See, linkerhand gelegen, liegt
geringfügig höher und fliesst über zahlreiche kleine Wasserfälle in den ersten ab.
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Ein herrlich intensives Grün-Blau |
Langsam wandern wir den in
Serpentinen verlaufenden Fussweg nach unten, Illa bleibt auf einer Bank am Ufer
sitzen, während ich einen holzbeplankten Fussweg benutze, der knapp oberhalb
der Stelle, wo die beiden Seen sich treffen, übers Wasser führt. Das Wasser hat
eine herrlich grünblaue Farbe und ist so klar, dass die zahlreichen Fische in
der Luft zu schweben scheinen. Am anderen Ufer laufe ich der Felswand entlang,
dann führen zahlreiche Stiegen um eine Ecke nach unten und dann befinde ich
mich am Fuss der Wand mit den vielen Wasserfällen.
Als wir in die Pension
zurückkommen – vorher hatte ich beim Wirt das Abendessen bestellt – sehen wir
ihn mit seiner anderenTochter beim
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Anschnitt des grossen Schinkens durch Wirt und Tochter |
Anschneiden eines grossen Schinkens. Er ist
gerade dabei, aus dem riesigen Schinken ein viereckiges Stück herauszuschneiden,
damit er dieses dann mit der Aufschnittmaschine verwenden kann. Er erklärt uns,
dass dieser Schinken 24 Monate gereift ist und als er uns zwei Stücke zur
Kostprobe reicht erkennen wir, dass er in der Qualität einem spanischen Patta
Negra sehr nahe kommt.
Zum Abendessen bestellen wir
natürlich eine Schinkenplatte als Vorspeise, anschliessend werden uns zwei
gebratene Forellen auf einer grossen Platte serviert, die kleinere mit weissem
Fleisch und Füllung ist sehr gut, doch die grössere rosige Lachsforelle ist
eine Wucht! Noch selten haben wir eine Forelle gegessen,
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Ein prachtvoller Schinkenteller |
deren Haut so knusprig
gebraten und deren Inneres so schmackhaft und saftig war. Unser Vergnügen wird
nur durch drei junge Japaner getrübt, die am Nebentisch hocken und die zeigen,
dass viele ethnologische Clichés heute nicht mehr gültig sind. Solche
Vorurteile besagen ja, dass Japaner besonders höflich und zurückhaltend sind. Nun
– der eine Japaner im Vordergrund pult zu Illas Entsetzen ohne Scham ausgiebig
in seiner Nase, betrachtet den erbohrten Inhalt dann kurz um ihn anschliessend
mit sichtlichem Genuss zu verzehren. Der Anblick ist für Illa so schlimm, dass
ihr für einen Moment fast der Appetit verdorben wird. Die junge Japanerin ist
offensichtlich ziemlich müde, denn plötzlich
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Zwei perfekt gebratene Forellen aus dem See |
legt sie den Kopf auf den Tisch
und schläft, sie muss erst durch den zweiten Kollegen geweckt werden, als der
Wirt ihr den Teller mit Forelle servieren will. Dieser zweite Kollege
entspricht als einziger dem Cliché, er ist sorgfältig gekleidet, trägt Brille
und fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Gesellschaft. Der erste Japaner
zeigt, dass er auch noch andere kulinarische Interessen hat, denn alle paar
Minuten steht er auf und will von der Wirtstochter Informationen über die
Rezepte.
Später stelle ich dem jungen
Mädchen, welches unsere Wanderung organisiert hatte, in vorsichtiger Form die
Frage, wie es zur Zerstörung der Häuser und Kirchen in dieser Gegend kam. Sie
erklärt mir, dass der
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Kriegerische Operationen im Gebiet Plitvicka Jezera 1995 |
Jugoslawienkrieg hier in der Gegend der Plitwitzer Seen
im Jahr 1991 begonnen hat, es gab die ersten Toten. Sie spricht mit Bitternis
davon, dass dabei nicht nur Serben sondern auch Kroaten schlimme Dinge begangen
hätten, ein weiterer Hinweis auf ihre Intelligenz und Objektivität. Im Zimmer
gehe ich ins Internet, erfahre, dass der schreckliche Bürgerkrieg, welcher zum
Zerfall Jugoslawiens führte, tatsächlich in dieser Gegend begann. ;Mit „Krvavi
Uskrs na Plitvicama“ wörtlich: „Blutige Ostern an den Plitvicer Seen“ wird eine
bewaffnete Konfrontation zwischen Spezialeinheiten der kroatischen Polizei und
serbischen Aufständischen bezeichnet, die sich am Ostersonntag, dem 31. März
1991 ereignete und auf beiden Seiten zu je einem Toten führte. Diese beiden
Opfer und ein vorher entgleistes Fussballspiel zwischen einer kroatischen und
serbischen Mannschaft waren die Funken, welche das Pulver zur Explosion
führten, einem Krieg, dem in den folgenden Jahren 200'000 Menschen zum Opfer
fallen sollten. Das obige Bild zeigt Plitvicka Jezera im Zentrum kriegerischer Operationen im Jahr 1995.
Diese wunderschönen Seen befinden
sich 150 km südlich von Zagreb, die ethnische Bevölkerungsstruktur ist sehr
heterogen, denn seit den Türkenkriegen wurden von den Habsburgern zahlreiche
Serben und Wallachen zur Sicherung der Grenze gegen die Osmanen angesiedelt. Der Nationalpark befand sich 1991 an der
Grenze zu serbisch-kontrollierten Gebieten im Süden der Seen, jedoch über Park
wachten damals hauptsächlich Kroaten, die der Regierung in Zagreb gegenüber
loyal waren.
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