Donnerstag, 16. Juni 2016

Von Hinteregg nach Triest

Wartezeit vor dem Tunnel
Eine kleine Mücke ist schuld, dass wir bereits kurz nach 6 Uhr auf der Strasse sind. Sie weckt mich gegen 4 Uhr mit ihrem durchdringend hohen Ton und – wie die Bewohner von London beim Anflug einer V1 – warte ich auf das Aussetzen des Geräusches, um sie vor Ausführung der bösen Tat zu erledigen. Doch ich warte ich immer einen Moment zu lange, aus Furcht vor dem Stich. Nach einiger Zeit habe ich genug und gehe an den Computer. Gegen 5 Uhr ist dann auch Illa wach, eine Viertelstunde später sitzen wir am Frühstück und – nach dem Deponieren von zwei Müllsäcken und einem letzten Kontrollblick auf mein geliebtes Treibhaus - befinden wir uns 20 Minuten nach 6 Uhr bei strömendem Regen auf der Strasse.
Es regnet immer noch in Strömen als Illa gegen 9 Uhr Euros am Bankomat der Raststätte Thusis zieht, wenig später, am Eingang eines Tunnels und kurz vor dem Anstieg nach Sufers dann für 15 Minuten Stillstand, wir haben schon Bedenken, dass unser schöner Vorsprung verloren geht. Plötzlich wird das Programm von Radio SRF 1 unterbrochen, ein Polizist informiert, dass in einem Tunnel der Bernardino-Route ein Lastwagen Panne hat. Wenig später geht es weiter, tatsächlich sehen wir dann im Tunnel einen grossen roten Lastwagen, um den aufgeregte Männer herumlaufen. Als wir dann bereits kurz vor dem Bernardino-Tunnel sind, kommt die offizielle Meldung von SRF 1, hier heisst es, dass der Lastwagen einen Unfall gehabt habe. Interessant ist, dass die Polizei sich offenbar lokal in das offizielle Radioprogramm einblenden kann.
Entsprechend dem Wetterbericht erwarten wir auch im Tessin nichts Gutes, doch als wir den Bernardino-Tunnel verlassen, nieselt es nur ein wenig. Die Berge tragen flauschige Wolkengebilde in Form horizontaler Girlanden, die entlang der Hänge nach unten führen, wie Wollstolen auf den Schultern eleganter Damen.
Kurz nach neun Uhr überqueren wir die Grenze bei Chiasso, der Himmel beginnt nun langsam aufzuhellen, jedoch hat die Sonne hat nicht die Strahlkraft wie in der Erinnerung früherer Reisen durch die Poebene in den Fünfzigerjahren, ich erinnere mich an unendlich lange Fahrten durch eine staubige Ebene, zudem gab es damals keine Klimaanlagen.
Autogrill - Lasciate ogni speranza voi che mangiate !
Spaziergang zum Schloss Miramare in Grignano (Triest)
Eigentlich hatte ich fürs Mittagessen den Besuch eines Lokals nahe der Autobahnausfahrt in Bergamo vorgesehen, doch wir sind noch zu früh und so essen wir kurz vor zwölf Uhr im Autogrill der Raststätte Sebino Sud, beobachten den Strom der Autos, der stetig unter uns passiert und essen eine Auswahl von Pasta, für die der Koch eigentlich in Dantes Hölle versetzt gehörte. Als kleine Aufmunterung kaufe ich dann im Shop wieder mal ein Kochbuch zu unserer schon viel zu grossen Sammlung hinzu, auf dem Deckel ein bärtiger sympathischer Italiener, mit dem Titel «In Cucina commando io»! Bei Antonino Cannavacciuolo handelt es sich um einen der besten Köche Italiens, der die Küche des Restaurants «Villa Crespi» leitet und erst als wir wieder im Auto sitzen erinnere ich mich daran, dass es sich dabei um das wie eine arabische Moschee aussehende Hotel am Eingang von Orta San Giulio handelt, wohin wir Illas Schwester zum Essen ausgeführt hatten. Wir passieren Padua, wenig später Venedig und dann – gegen vier Uhr – erreichen wir die Ausfahrt von Grignano, einem kleinen Vorort von Triest.
Maximilian und Charlotte
Das Navi führt mich geradewegs zum Restaurant «Tavernetta al molo», wie der Name sagt, direkt am kleinen pittoresken Hafen gelegen. Dieses Restaurant habe ich für den heutigen Abend vorgesehen, seine Homepage lässt Gutes vermuten. Doch keine Menschenseele ist zu sehen, der Service beginnt erst um sieben Uhr und auch am Telefon meldet sich Niemand.
Also fahren wir sofort weiter zum nur wenig entfernten Schloss Miramare, es liegt am Ende einer Sackgasse, die romantisch am Seeufer entlangführt, zur Rechten ein Hang mit einem wunderschönen Garten, wir passieren eine Schranke und stellen den Wagen ab, laufen die kurze Strecke zum Schloss, welches auf einem Felsen oberhalb dem Meer steht.
Hier sass der Erzherzog, bevor er nach Mexiko aufbrach
Das Schloss wurde um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts von Erzherzog Maximilian von Habsburg für sich und seine Frau, Prinzessin Charlotte von Belgien erbaut, als Admiral der österreichisch-ungarischen Flotte wollte er ein würdiges Heim in der Nähe seines Arbeitsplatzes haben. Es wird berichtet, er habe den schönen Ort bei einer gefährlichen
Seefahrt – es blies der örtliche Sturmwind namens Bora – kennen und lieben gelernt.
Während wir durch die prunkvollen Räume wandern, wo die beiden Aristokraten von zahlreichen Dienern umsorgt wurden, denke ich an das traurige Ende dieses Mannes vor einem Erschiessungskommando in der mexikanischen Stadt Queretaro. Der unverbesserliche Romantiker hatte sich von Napoleon dem Dritten überreden lassen, die Mexikaner wünschten nichts anderes als einen Habsburger als Regenten. Doch keinem der Bewohner hat dieses schöne Schloss Glück gebracht. Später war es einer der
Lieblingsorte der österreichischen Kaiserin Elisabeth, genannt Sissi, die von einem italienischen Anarchisten in Genf ermordet wurde. Als Triest dann nach dem ersten Weltkrieg zu Italien kam, lebte der junge Duca d’Aosta, strahlender Fliegerheld, in diesem Schloss. Er starb elend 1943 an Tuberkulose in einem italienischen Militärspital.

Eine Stunde später sind wir wieder am Hafen, noch immer keine Bewegung in der
Tavernetta, obwohl ich auf meinem Kontrollgang bis zum kleinen Hof hinter der Küche vordringe. Nach kurzer Ueberlegung setzen wir uns an eines der Tischchen vor dem benachtbarten Restaurant «Principe
Apero auf der Terrasse des Principe Metternich
Metternich» und bestellen zum Apero zwei Hugo Fritz sowie als Snack «tartinette», die sich als Brötchen mit Räucherlachs und einem reichlich faden Stockfisch-Puree herausstellen. Am Telefon kann ich dann endlich jemanden von der Tavernetta erreichen und bestelle einen Tisch für zwei Personen. Unterdessen hat der Himmel über dem Meer eine dramatische Färbung angenommen.

Gegen halb sieben Uhr zeigt sich endlich Bewegung in der Tavernetta, einige junge Männer arbeiten in der Küche. Sie weisen uns für die Wartezeit einen Aussentisch zu. Um 7 Uhr nähere ich mich einem älteren Mann, den ich als Chef des Etablissements von der
Die Hafenmole von Grignano
Homepage erkenne. Er befindet sich in einem sichtlich erregten Gespräch mit einem distinguiertem Triestiner, dem er immer wieder erklärt, dass kein freier Tisch mehr vorhanden sei, bis der Mann zornig von dannen geht. Als der Wirt dann meine Reservation nicht auf Anhieb findet, fällt mir schon das Herz in die Hosen, uns könne ein ähnliches Schicksal drohen. Doch dann findet er sie und wir bekommen im oberen Stockwerk einen schönen Fenstertisch zugewiesen.

Das Essen ist dann ein wahrer Traum, lässt das miese Mittagessen vergessen. Wir wählen zur Vorspeise 2 Gerichte, «insalata tiepida di Coda di rospo» und «capesante al basilico e pinoli»,
Grigliata Mista - ein königlicher Genuss
der Chef lässt uns die Hälften der beiden Vorspeisen, «lauwarmer Salat vom Rochenschwanz» und «Jakobsmuscheln mit Thymian» hintereinander auf Tellern servieren.
Zur Hauptspeise bekommen wir eine Grillplatte mit Meerestieren aller Art, verschiedene Edelfische, Krustentiere, Polypen, Sepien und «moschardini», winzige Tintenfischchen. Jeder dieser Meeresbewohner ist optimal auf den Punkt grilliert und wir sind uns einig, dass wir hier italienische Küche auf höchstem Niveau erleben, zusammen mit dem süffigen friaulischen Weisswein, von dem ich als Autofahrer nur wenig geniessen kann, eine gelungene Komposition, deren Abschluss mit zwei Espressi gefeiert wird.
Il capo della cucina e la signora Illa in partenza
Vorsichtshalber rufe ich gegen halb acht Uhr bei unserer Wirtin an, am Telefon hat sie mir vorgestern gesagt, ich solle eine Stunde vor der Ankunft beim Palazzo Brigido anrufen, damit sie uns den Schlüssel übergeben kann, spätestens allerdings um 9 Uhr. Als wir fahren, begleitet uns der Chef bis zum Auto und posiert mit Illa für ein Foto.

 Die Fahrt ins abendliche Triest führt dauernd entlang der Meeresküste, viele alte Villen, teilweise mit altösterreichischem Charme, dann der Hafen, wo die Strasse wegen der Molen und Kanäle einen Bogen landeinwärts macht. Das Navi  führt uns sicher bis zu einer Seitenstrasse, wo wir kurz das Palazzo erblicken, jedoch ohne jegliche Parkierungsmöglichkeit. Nach einem sehr grossen Bogen, wieder wegen der Kanäle, lande ich wieder vor dem Palazzo und parkiere den Wagen wenig legal ganz einfach seitlich auf dem Trottoir. An der Türe eine Vielzahl Klingeln, die meisten ohne Anschrift, ich rufe nochmals bei der Pension an und erfahre, dass das Appartement «al sesto piano» ist, wir sollten einfach nach oben kommen. Zum Glück ist es jedoch «nur» im dritten Stock, denn die Zimmer in diesem alten Palazzo sind so hoch, dass es immer zwei Treppengänge für ein Stockwerk braucht und die Frau zählt sie offenbar einzeln. Das Treppenhaus ist düster, wie es sich für einen alten Palazzo geziemt, doch als die junge Wirtin uns oben die Tür zu dem Flügel mit den Appartements öffnet, ist alles hell und freundlich. Unser Zimmer ist geräumig, daneben eine Küche, wo sie uns den Gebrauch des Gasherds erklärt, dahinter das komfortabel eingerichtete Bad. Als sie uns die Schlüssel aushändigt, beschreibt sie mir auch den Weg zu einer naheliegenden Parkgarage. Die Garage liegt tatsächlich nur etwa 200 m weiter hinter der nächsten Strassenbiegung, es ist nun schon dunkel, in der Bar gegenüber fröhliche junge Leute, welche offensichtlich Fussball schauen, schliesslich sind momentan Europmeisterschaften. Ich fahre tief hinunter in Triests Eingeweide, komme anschliessend durch einen langen Gang nach oben, der an die Passagen der Pariser Metro erinnert.

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