Mittwoch, 22. Juni 2016

Von Dubrovnik nach Mostar

Unser letztes Frühstück im Lande der Riesen, es hat sich im Laufe der drei Tage gesteigert, neben türkischem Kaffee, Toast, Salami und Käse gibt es heute auch Joghurt mit den Früchten, die wir beim Ausflug an einem Strassenstand in Ston gekauft hatten, leider noch unreif und sauer. Wie mit der Pension besprochen lassen wir den Schlüssel auf dem Tisch zurück, tragen dann alle Koffer nach unten, wobei Illa die Hilfe des Zimmermädchens erhält, welches gerade die Zimmer reinigt. Mit ihrer Hilfe bringen wir unser Gepäck die Stiegen bis zum Stradun hinunter, von dort aus können wir die Koffer bis vor das Ploce-Tor rollen. Ich rufe ein Taxi und wenige Minuten später sind wir bei der Public Garage. Leider kann ich mit der Public Garage nicht denselben Deal wie mit der Pension machen, der Mann bedauert, das Ticket sei nun ein Mal gekauft, gibt mir den Rat, das Ticket an einen Interessenten zu verkaufen. Leider haben wir nicht die Zeit dazu und so machen wir uns auf den Weg in Richtung Mostar.

Ein letzter Blick auf Dubrovnik, im Vordergrund der kleine Hafen
Es geht steil den Berg hoch, an einer Stelle können wir noch einen letzten Blick auf die Altstadt von Dubrovnik werden, dann geht es über seine Kuppe in ein Hochtal, anschliessend einen Hügel hoch, hinter einer langgezogenen Kurve befindet sich bereits die Grenze zu Bosnien-Herzegowina, nur wenige Kilometer von Dubrovnik entfernt. Es ist eine andere Welt in die wir aus der Wohlstandsoase Dubrovnik kommen, die Zollstation befindet sich in einem schäbigen alten Container, eine lange Schlange von Autos lässt nichts Gutes erwarten. Nun - die Probleme lassen dann nicht auf sich warten, jedoch nicht im Zusammenhang mit Illas abgelaufener Identitätskarte. Als der Zöllner in akribischer Weise unsere Identität geprüft hat, indem er unsere Karten in einen Kartenleser eingibt - so modern ist man hier immerhin wenns ums Kontrollieren geht - als ich schon erleichtert aufatmen will, weil das abgelaufene Datum nicht beanstandet wird, da kommt plötzlich die Frage nach dem Versicherungsschein. Ich suche hektisch in meinen Autopapieren, der Mann assistiert mir hilfreich mit der Auskunft "green paper", doch nirgends ist das verflixte Dokument, dass ich sonst immer im Auto habe, zu finden. Ich habe das Gefühl, dass wir nun ernsthafte Probleme bekommen werden. Doch dann löst sich die Situation ganz einfach pekuniär. Ich erfahre, dass ich eine Versicherung auf Zeit lösen muss, das Minimum sind sieben Tage und es kostet 320 Kuna, was etwas über über 40 Franken entspricht. Ich lege 350 Kuna auf den Tisch, während ich dies tue, sehe ich, wie der Kollege daran ist, unsere Identitätskarten nochmals in den Schlitz zu schieben. Schnell sage ich, dass ich aufs Wechselgeld verzichte, ich bekomme überschwänglichen Dank von dem vorher mürrischen Mann und wir können weiterfahren. In der Ferne sehe ich nochmals ein Stück der Küstenebene mit der blauen Adria und ich kann verstehen, warum die bosnischen Serben im Krieg unbedingt die Küste einnehmen wollten, denn ein dünner, nur kilometerbreiter Saum trennt Bosnien-Herzegowina in dieser Gegend vom Meer. Es ist bitter, wenn man vom trockenen Berg, "viel Steine gab's und wenig Brot" in eine grüne Küstenebene blickt, doch dies entschuldigt natürlich nicht die Brutalität, mit der eine schöne alte Stadt beschossen und bombadiert wurde.

Kahle Berge in Bosnien-Herzegowina
Wir fahren auf einer Strasse, welche sich mit vielen Kurven über kahle Berge schlängelt, die mich eher an orientalische Landschaften als an Europa erinnern. Ihr tektonischer Aufbau zeichnet sich in der zeilenartigen Anordnung der spärlichen Buschvegetation ab. Die Dörfer sind ärmlich und immer noch vom Krieg geprägt. An einer Stelle sehen wir eine mit Blumen bekränzte Steinplakette, darauf die Bilder eines Mannes und einer Frau, die Inschrift ist in kyrillischer Schrift, das Todesdatum 2001. Also handelt es sich hier wahrscheinlich nicht um Kriegsopfer sondern ein Paar, welches einer anderen Sitte des Balkans zum Opfer gefallen ist, der
Opfer der Strasse ?
ungezügelten Raserei.

Als wir uns Mostar nähern, sehen wir auf einer Bergkuppe ein total zerschossenes Haus, im nächsten Dorf sehen wir dann die erste Moschee. Wir befinden uns auf dem Gebiet der Republicka Srbska, des Teils von Bosnien-Herzegowina, der von den Serben gehalten wird und der nur bedingt den Weisungen aus der vorwiegend muslimischen Hauptstadt Sarajevo gehorcht. Wir fahren über einen Berg, dann einen lange schräge Ebene hinunter, zur Linken ein begrüntes Flusstal, welches wahrscheinlich von der Neretva bewässert wird. Kurze Zeit darauf sehen wir die Häuser
Hier wurde gekämpft
einer grösseren Stadt im Tal, es ist Mostar. Auf dem Weg zum Hotel Mepas sehen wir, dass in dieser Stadt schwer gekämpft wurde und zwar scheinen die Plattenbauten besondere Widerstandsnester gebildet haben, denn viele von ihnen zeigen Einschüsse von automatischen Waffen, teilweise auch von Panzergranaten. Trotz Navi habe ich kurze Zeit Probleme um das Hotel Mepas zu orten, doch es befindet sich in einem grossen Gebäudekomplex mit einer riesigen Mall. Wir fahren in die Tiefgarage, wo das dritte Untergeschoss für das Hotel reserviert ist, fahren dann mit dem Lift zur Lobby hoch.

Das Hotel ist ein krasser Gegensatz zur ärmlichen Umgebung. Nach der sengenden Mittagshitze herrscht in der Lobby die marmorgeschmückte Kühle eines amerikanischen Hotels, wir erhalten zwei Türkarten für unser Zimmer im neunten Stock, gleichzeitig die Auskunft, dass ein Spa mit Pool sich im achten befindet und dass wir im vierten zu Mittag essen können. Auch der Lift besitzt amerikanischen Glamour, er steigt offen ohne Schacht am Rande des über mehrere Stockwerke reichenden Zentralbereichs der Mall hoch. Nachdem wir uns frisch gemacht haben, nehmen wir in diesem Restaurant das Mittagessen ein, wir fragen nach einer bosnischen Spezialität und bekommen ein sehr gut schmeckendes Gericht, eine Art Kalbsgeschnetzeltes mit viel Zwiebeln und Reis als Beilage.

Das Innere einer Kriegsruine
Nach dem Essen wollen wir endlich die berühmte Brücke sehen, in der Lobby teilt man uns mit, dass sie kaum mehr als 800 m entfernt ist. Also machen wir uns auf den Fussmarsch, nutzen dabei jeden Schatten aus. Auf dem Weg sehen wir weitere Beispiele der Verwüstung, der Häuserkampf muss hier schrecklich gewesen sein. Der Weg zieht sich endlos und wir bedauern, dass wir den Leuten von der Lobby geglaubt haben und nicht das Auto genommen haben. Endlich sehen wir eine Brücke vor uns, die über die Neretva führt, allerdings eine moderne Brücke, diejenige die wir suchen, liegt nach Auskunft eines Passanten noch mehrere hundert Meter flussaufwärts.

Wenigstens führt der Weg nun parallel zum Fluss und die Häuser der hier beginnenden Altstadt sind deutlich pittoresker als die schäbigen, teilweise zerstörten sozialistischen Plattenbauten der neuen Stadt auf dem jenseitigen Ufer. Wir befinden uns jetzt ohnehin in einer anderen Welt, vor den kleinen Cafes, eines heisst Bosporus, sitzen bärtige Männer mit runden Mützen, Frauen mit Kopftücher
Am Ende der Strasse ein Minarett
kreuzen unseren Weg, in einem Fall ist eine Frau auch völlig schwarz verschleiert und trägt einen Gesichtsschleier. In der Zeitung habe ich früher gelesen, dass die Muslime während des Bosnienkriegs von den Golfstaaten, insbesondere Saudiarabien unterstützt wurden, diese schickten neben Mudjaheddin auch ihre Imame und ihre strenge wahabitische Auffassung des Islams, welche seither den traditionellen "europäisch lieberalen" Islam teilweise ersetzt hat. In Mitteleuropa wird dauernd von einem aufgeklärten Islam gesprochen, der mit unseren Sitten, unserer Verfassung kompatibel ist, man schlägt die
Die Gebetskanzel der Moschee von Mostar
Einführung eines liberalen Religionsunterrichts vor, anstelle der amtlich von der Türkei eingesetzten oder von Saudiarabien finanzierten Imame. Doch man vergisst, dass vor dem unseligen Krieg, der Jugoslawien ein Ende setzte, bereits ein solcher Islam in diesem Lande existierte. Er wurde durch diesen Krieg weitgehend ausgemerzt, die neuen fundamentalistischen Imame erklärten der Bevölkerung, dieser Krieg sei eine Strafe für ihr früheres liberales Verhalten. Hinter einer Biegung stehen wir plötzlich vor einer Moschee, ein Schild besagt, dass sie besichtigt werden kann. Ein junges freundliches Mädchen gibt uns zwei Tickets aus, zeigt uns, wo wir die Schuhe ausziehen müssen und begleitet uns ins Innere. Trotzdem dass diese Moschee als die grösste von Bosnien gilt, scheint sie uns klein im Vergleich zu den Moscheen in Istanbul mit ihrer verschwenderischen Pracht. Als wir wieder draussen sind, ermuntert sie uns dazu, vom Wasser des Brunnens zu trinken, welches von den Gläubigen zur Reinigung verwendet wird. Im Gegensatz zu den sonstigen Brunnen sei das Wasser bei einer Moschee immer trinkbar. Tatsächlich ist das Wasser von einer köstlichen Kühle, es kommt von den umliegenden Bergen.

Die berühmte Brücke nach dem Wiederaufbau
Nur hundert Meter weiter biegen wir in einen Garten ein, im hinteren Bereich direkt oberhalb dem Fluss ist ein kleines Cafe, wir setzen uns an einen der Tische und sehen erstmals die berühmte Brücke "stari most", die von einem osmanischen Baumeister im sechzehnten Jahrhundert erbaut wurde und damals als ein Wunderwerk der Technik galt. Sie schwingt sich mit unblaublicher Eleganz in einem kühnen, gegen die Mitte immer dünner werdenden Bogen über den Fluss, besitzt eine Spannweite von fast 30 m und ihr Scheitelpunkt liegt 19 m über den reissenden Wellen der Neretva. Seit Jahrhunderten galt dieses grossartige Bauwerk als symbolische
Der erste türkische Kaffee mit der Brücke in Sicht
Brücke zwischen Ost und West, zwischen der Welt des Christentums und des Islams bzw. katholischen Kroaten, serbischen und muslimischen Bosniaken. Es war sicher diese symbolische Bedeutung, warum die serbischen Freischärler diese Brücke mit Bedacht zerstörten, denn was wir heute sehen, ist erst ein vor wenigen Jahren beendeter Neubau. Während ich die Brücke betrachte, sehe ich einen jungen Mann in Badehose auf der Seitenmauer der Brücke stehen, irgendwo habe ich gelesen, dass besonders Mutige ab und zu von der Brücke in den Fluss springen, ich habe mein Teleobjektiv bereit, doch der junge Mann
Der Junge in der Badehose will nicht springen.
spring nicht.

Nach der Kaffeepause laufen wir die kurze Strecke bis zur Brücke, die enge Strasse sieht einem orientalischen Bazar gleich, es werden Reiseandenken aller Art verkauft, bestickte Lederwaren, aus Kupfer gehämmerte Teller und natürlich auch all der Kitsch, welcher an allen schönen Orten dieser Welt zu finden ist.

Kurze Zeit darauf laufen wir selber die Rampe der Brücke hoch, sie ist relativ rutschig und besitzt aus der Oberfläche etwas herausragende Quersteine, welche das Rutschen verhindern sollen. Trotzdem muss ich sehr aufpassen und mich auf der Seitenmauer abstützen, von wo
Der Aufgang der Brücke
man einen Blick in das grün strudelnde Wasser der Neretva hat. Später sehe ich übrigens auch, warum der junge Mann immer wieder auf die Seitenmauer der Brücke steigt: er macht auf Wunsch Fotos von den Touristen, die über die Brücke laufen.

Die Brücke ist beidseitig von Gebäuden mit Torbögen gesäumt, auch auf der anderen Seite ist die Strasse beidseitig von Marktbuden gesäumt. Wir stillen unseren Durst mit einem Bier am Aussentisch eines Cafes und nehmen dann ein Taxi zurück zu unserem Hotel.

Nachdem wir uns etwas ausgeruht und erfrischt haben, machen wir die Planung für den Abend. Da wir hier in Kontakt mit dem Orient sind, wollen wir unbedingt türkisch in einem Restaurant essen, wo wir den Sonnenuntergang und später
Auf dem Balkon des Restaurants Lagero
auch die beleuchtete Brücke in der Nacht sehen können. Im Internet finde ich das Restaurant Lagero, welches offensichtlich beide Genüsse bietet. Als ich in der Lobby nach dem Restaurant frage, mache ich eine seltsame Erfahrung. Obwohl dieses Restaurant mehrfach im Internet lobend erwähnt ist, kennt keiner der Angestellten dieses Hotel. Stattdessen preist man uns ein anderes Restaurant bei der Brücke an, wohin man die Gäste regelmässig schicke. Als dann unser Taxichauffeur ebenfalls sagt, von diesem Restaurant habe er noch nie etwas gehört, werde ich misstrauisch. Wir befinden uns in diesem Teil Sarajevos auf serbisch-orthodoxem Gebiet, das Restaurant hat
Orientalische Hühnerspiesschen mit Fladenbrot
türkische Küche und ist deshalb wahrscheinlich muslimisch. Der Taxischauffeur setzt uns kurz vor der Brücke ab, an der Stelle wo wir am frühen Nachmittag mit dem anderen Taxi abfuhren. Wir kommen an dem vom Hotel empfohlenen Restaurant vorbei, doch mein Widerstandsgeist ist geweckt und dann finde ich das Schild zum Restaurant Lagero dicht vor der Brücke, wir gehen durch ein enges Nebengässchen, welches sich zu einem patioähnlichen Hof erweitert, der von alten Gebäuden flankiert ist. Wir werden freundlich empfangen und auf einen Balkon des ersten Stocks gebracht, von wo wir einen fabelhaften Blick auf die Brücke
Die "stari most" bei Nacht
haben. Das Essen ist dann eher durchschnittlich, entspricht der "Grobmotorik" der Döner-Buden, wie man sie bei uns gewöhnt ist, stark angegrilltes Fleisch, rohe Zwiebeln, Tomaten, Ajvar, doch der Blick kompensiert das Kulinarische bei weitem! Langsam senkt sich die Dämmerung, es erscheinen die ersten Lichter und dann endlich schaltet die Brückenbeleuchtung ein, wirft ihre Reflexe auf den dunklen Fluss in der Tiefe.

Wir kommen in ein persönliches Gespräch mit dem jüngeren Bruder desWirts, der sich als Muslim zu erkennen gibt, allerdings von der liberalen Sorte, denn seine Schwester trägt kein Kopftuch. Ich erzähle ihm davon, dass sowohl das Hotel wie auch der Taxichauffeur keine Kenntnis von seinem Restaurant gehabt hätten, er stösst ein bitteres Lachen aus. Das seien eben Serben und die würden alles tun, damit sie als Muslime kein Geschäft machten. Vor dem Krieg sei alles anders gewesen, da hätte man friedlich zusammengelebt. Doch der Krieg hätte alles verändert und es sei erst einige wenige Jahre her, dass sich die verschiedenen Volksgruppen nach der Reparatur der Brücke überhaupt ins Gebiet der anderen trauten. Als ich erfahre, dass man hier nicht mit Karte zahlen kann, bietet sich der junge Mann spontan an, mich zum nächsten Bankomaten zu begleiten, bleibt diskret im Hintergrund während ich das Geld ziehe. Als wir dann gehen, sind wir direkt Freunde geworden, wir bekommen Baklava, dazu Illa einen Likör und ich einen bosnischen Schnaps. Als wir ein Taxi rufen wollen, besteht der junge Mann darauf, uns zum Hotel zurückzufahren. Ich stelle auf der Fahrt die Frage, wieso sich sein Restaurant auf dieser Seite des Flusses befände, ich hätte geglaubt, der Fluss sei die Grenze der beiden Kriegsparteien gewesen. Nein, antwortet er, es war diese Strasse parallel zum Fluss, über die wir gerade fahren, sie war die Hauptkampflinie während des Kampfs und nun verstehe ich auch, warum die Umgebung unseres Hotels soviele Ruinen aufweist. Als wir aussteigen, sagt der Mann, er hoffe uns wieder ein Mal zu sehen, dann würden wir aber nicht in seinem Restaurant essen sondern bei ihm zuhause.

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