Samstag, 25. Juni 2016

Von Bled nach Kärten und über Osttirol nach Meran

Im Halbschlaf höre ich Vogelgezwitscher, dann werde ich unsanft völlig wach, da ein Lastwagen sehr geräuschvoll seine Waren bei der Mall abladet. Illa schläft noch, vorsichtig schiebe ich die dicken Vorhänge zur Seite und trete auf den Balkon hinaus, die erste Morgensonne bescheint die Insel im See. Ich hole mir den Tablet-PC und schreibe meinen gestrigen Blog fertig. Dann kommt plötzlich eine grosse Hornisse geflogen, macht Anstalten ins Zimmer zu fliegen. Schnell gehe ich ins Zimmer zurück und schliesse die Tür. Nach einem guten Frühstück sind wir dann bald auf der Strasse, nach wenigen Kilometern erreichen wir wieder die Autobahn und kurz darauf die Grenze zu Oesterreich,
Einfahrt zum Karawankentunnel
die wir problemlos überqueren, sowohl Oesterreich wie auch Slowenien sind ja Mitglieder der EU, Unmittelbar hinter der Grenze beginnt der Karawankentunnel. Er ist über 7 km lang und hat nur eine Röhre, d.h. man fährt mit Gegenverkehr, jedoch ist eine zweite Röhre bereits in Planung. Der Tunnel wurde in den Achzigerjahren gebaut, bei unserer ersten Slowenienreise mussten wir noch über einen äusserst steilen Uebergang, ich glaube es war der Loiblpass, von Kärnten nach Slowenien wechseln.
Untenstehend die Strecke, welche wir heute zu fahren gedenken.

Unsere heutige Route von Bled nach Meran
Bereits kurz nach dem Karwankentunnel kommt die Ankündigung der Ausfahrt nach Klagenfurt, von wo ja unser guter Freund Peter Uggowitzer stammt. Was ich nicht wusste ist, dass Klagenfurt direkt am Wörthersee liegt und da ich in Gedanken die Melodie vom "Weissen Rössl" memoriere, macht dies den Ausschlag. Erst als wir schon auf der Landstrasse sind, kommt es mir in den Sinn, dass das Weisse Rössl am Wolfgangssee liegt, den Ausschlag gibt aber ein Schild mit der Angabe, dass Klagenfurt noch 30 km entfernt ist. Wir sind nun aber doch neugierig auf den Wörthersee und nehmen die Strasse nach Velden, fahren durch den Kurort bis zu einer Parkanlage beim See. Dort steht eine Parkuhr mit einer Höchstparkdauer von 30 Minuten zu 0.50 Euro, meinen Unwillen erregt, dass diese Uhr keine Münzen unter 50 Cents akzeptiert, dafür besteht die Möglichkeit zum Einwurf
Was darf man denn am Wörthersee ?
von 1 und 2 Euro Münzen, natürlich ohne Wechselgeld. Da mir eine 0.50 Euro Münze fehlt, werfe ich verdrossen einen Euro ein, meine Stimmung hebt sich beträchtlich, als mit dem Parkschein nicht nur der Euro zurückkommt sondern in seinem Schlepptau auch noch eine 50 Cent Münze. Im Interesse der "Oesis" will ich annehmen, dass dieser Vorfall nicht Ergebnis einer Fehlfunktion sondern eine gezielte Massnahme zur Erfreuung von Touristen ist. Allerdings zeigt uns dann ein Schild bei den Parkanlagen, dass man hier keinen Spass versteht, weder für Touristen noch für Enten!


Die Autobahn führt uns zuerst das Drautal entlang, um die Mittagszeit erreichen wir Lienz, das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Zentrum Osttirols. Wir parkieren direkt vor dem Eingang der Altstadt und machen dann einen Spaziergang auf der Suche nach einem guten Gasthaus. Ein Passant gibt uns dann einen Tipp und wenige Minuten später sitzen wir an einem der Aussentische vor dem alten Gasthof Adlerstüberl und lassen uns ein gutes Bier schmecken, in meinem Fall eine alkoholfreie Weisse. Als Hauptspeise wählen wir beide eine Sülze, welche in ihrer lockeren Konsistenz, dem mageren Fleisch und den aromatischen Gemüsen an die bömische "Tlacenka" meiner Mutter erinnert, welche sie natürlich ohne Zuhilfenahme von Gelatine durch Auskochen von Kalbsfüssen herstellt. Ich vergrössere den Genuss indem ich zur Sülze eine knusprige Brezen esse.

Illa bei der Wahl von Schinken und Speck
Der nette Mann von vorher hat uns noch einen weiteren Tipp gegeben, wir möchten unbedingt Tiroler Schinken und Speck kaufen und suchen eine gute Metzgerei. Schliesslich ist Samstagnachmittag und wir wissen nicht bis wann die Geschäfte an unserem Reiseziel Meran heute geöffnet haben. Wir finden den Traum von einer Metzgerei in dem Durchgang, durch den wir vor dem Essen zum Restaurant gekommen sind. Wir kaufen mehrere Stücke Schinken und Speck, die wir uns vakumieren lassen, einige davon sind Mitbringsel für Derek und Simone und meine Mutter.

Seit dem Morgen sind wir heute der Drau entlanggefahren, welche ein praktisch von Ost nach West führendes Tal bildet, von Maribor in Slowenien bis nach Lienz. Auf dem Weg nach Südtirol folgen wir ihrem Lauf auch noch hinter Lienz, nur dass der junge Fluss - noch immer nach Osten uns entgegenfliessend - nun im Pustertal verläuft. Die erste grössere Stadt in Südtirol ist Bruneck, dann kommt Brixen, auf italienisch Bressanone, wo die Strasse nach Süden in Richtung Bozen abbiegt, an dem wir vorbeifahren. Die Strasse schwenkt nun wieder gegen Norden ins Etschtal hinein und gegen 16 Uhr erreichen wir Meran. Hier führt uns das Navi in ein schönes Villenquartier mit einer immer enger werdenden Strasse, endlich sind wir am Ziel, das Hotel Freiheim, eine wunderschön renovierte alte Villa aus der Gründerzeit. Es geht durch einen engen Torbogen, ich stelle den Wagen auf dem Kiesvorplatz ab. Als wir die Treppen zur Eingangstür hochsteigen, kommt uns ein älteres Paar entgegen, es ist das Hotelier-Ehepaar Nagler-Genetti, welches uns auf ganz herzliche Weise willkommen heisst. Nachdem wir das makellos modern eingerichtete Zimmer mit Küche und Bad bezogen haben, gehe ich zurück zu Herrn Nagler an die Reception und stelle die Frage, ob ihm das Hotel Continental bekannt ist. Dies war nämlich das Hotel, welches von Charles Parisis, dem Cousin meiner Grossmutter Euphémie, geb. Gobiet gebaut wurde. Er wird sofort lebhaft und sagt, dass er die alte Frau Parisis, die Witwe von Charles, noch gekannt hätte, nach dem tragischen Tod ihres Sohnes Wolfgang im 2. Weltkrieg hätte sie das Hotel gegen eine Leibrente abgegeben. Später sei das Hotel von der heutigen Besitzerfamilie Eisenkeil gekauft worden, die es auf die alte Pracht renovierte und in "Meranerhof" umbenannte.

Urgrossmutter Claire
An dieser Stelle muss ich kurz ausholen, was mir meine Mutter
erzählte, die es wiederum von Omama gehört hat. Nachdem mein Grossvater Ignaz Feichtinger im Februar 1923 frühzeitig in Budapest gestorben war, wurde Omama von ihrem Cousin Charles Parisis in sein Hotel Continental nach Meran mit ihren beiden Kindern eingeladen. Ich stelle mir eine schwarz gekleidete junge Frau vor, wie sie mit einem kleiner neunjährigen Jungen, meinem zukünftiger Vater und seiner Schwester Klari, einem vierzehnjährigen Teenager, aus Prag kommend auf dem Bahnhof von Meran eintrifft. Charles Parisis war der Bruder ihrer Mutter Claire Gobiet geb. Parisis, die in Prag auch als "die schöne Belgierin" bekannt war. Da ich über kein Bild von Charles Parisis verfüge, zeige ich die Bilder seiner Geschwister,
meiner Urgrossmutter Claire und ihrem Bruder Léon.

Ihr Bruder Léon
Charles Parisis muss ein seltsamer Mensch gewesen sein, mein Grossonkel Arthur Gobiet meinte sogar, er sei ein hochmütiger Mann mit sadistischen Neigungen gewesen. Seinen Sohn Wolfgang behandelte er mit Verachtung, auch konnte er meinen damals neunjährigen Vater nicht leiden. Hingegen hatte er an dessen Schwester Klari einen Narren gefressen, hätte sie am liebsten gleich in Meran behalten, damit sie später seinen Sohn Wolfgang heiraten würde. So gab er Klari bei Tisch immer die grössten Leckerbissen, verweigerte diese aber dem kleinen Heini, wobei es ihm ein diebisches Vergnügen machte, dass Omama sich über die miese Behandlung ihres Lieblings aufregte. Er wusste, dass Omama den Genuss von Alkohol für ihren Jungen ablehnte, doch er lehrte ihn die Worte "prego un po' di vino" auszusprechen und schenkte ihm dann Wein ins Glas. Wenn beim Frühstück sein weichzukochendes Ei nicht auf dem Punkt war, schleuderte er es zu Boden und da seine Frau Pia sich vor den Hotelangestellten schämte, musste sie den Schaden selbst zusammenkehren. Diese Frau Pia war die Tochter von Karl Wolf, einem bekannten Heimatdichter Südtirols. Hier endet die Familienerzählung, Mama wusste nur, dass der Sohn Wolfgang im zweiten Weltkrieg zur italienischen Armee in Afrika eingezogen worden war, dass er es bei Kriegsende noch zurück nach Italien geschafft hätte, dann aber auf dem Weg nach Norden verschollen sei.

Es muss Ende der Fünfzigerjahre gewesen sein, als ich mit den Eltern auf einer Ferienreise nach Meran kam. Damals hiess das Hotel noch Continental, wir gingen am Abend hin und setzten uns ins Restaurant. Alles wirkte ein wenig vernachlässigt, das Hotel wurde von Reisebussen frequentiert, was immer ein Zeichen von Abstieg ist. Wir interessierten uns wie die Geschichte der Parisis weitergegangen war, sprachen mit der Geschäftsführerin, einer älteren Dame, die auf unsere Fragen sofort mit Verschlossenheit antwortete.

Immerhin habe ich im Gespräch mit unserem Hotelier neue Einzelheiten erfahren, er hat die alte Frau Parisis noch gekannt und das Continental heisst heute Meranerhof und ist eines der besten Häuser des Kurorts. Aufs Zimmer zurückgekehrt gehe ich ins Internet und gebe bei Google "Parisis" und "Meranerhof" ein, finde sofort eine Seite, auf der die Vorgeschichte des Meranerhofs geschildert wird. Die Geschichte beginnt im Jahr 1886 als ein junger Mann namens Karl Wolf  die Villa Adelheid im Zentrum von Meran am Ufer der Etsch gelegen kauft um sie in die Pension Wolf umzubauen. Später wird Wolf krank und übergibt seine Pension an den Schwiegersohn Charles Parisis, der seine Tochter Pia geheiratet hat. Dieser lässt die Pension teilweise abbrechen und erbaut auf ihren Fundamenten das feudale Hotel Continental, welches im Jahr 1913 eröffnet wird. Als Omama mit ihren Kindern Klari und Heini dort zu Besuch weilte, war das Hotel also gerade 10 Jahre alt. Irgendwann in den Dreissigerjahren erbt der Sohn Wolfgang das Hotel in einer sehr schweren Zeit, er wird im Jahr 1943 zum Militär eingezogen und eines Tages kommt die Meldung von seinem Tod nach Meran. Seine Mutter Pia kann das Hotel nicht alleine führen, sie übergibt es an ihre Cousine Grete Cacak, die es im Jahr 1948 neu eröffnet. Aber auch diese Cousine hat kein Glück mit dem Hotel, sie verkauft es im Jahr 1966 an den erfolgreichen Geschäftsmann Arthur Eisenkeil, dessen Familie das Hotel noch heute führt. Er führt eine grosszügige Renovation durch, wonach das Hotel wieder im alten Glanz dasteht.

Am späteren Nachmittag entschliessen wir uns zu einem Besuch des Hotels Meranerhof, der Hotelier meint, dass es nur ein kurzer Spaziergang zum Stadtzentrum sei. Der Spaziergang erweist sich dann doch als längere Wanderung, nach einer guten halben Stunde überqueren wir die Etsch, gelangen zum
Einige Ansichten des Hotels Meranerhof, vormals Continental
grossen Gebäude der Therme neben der das Hotel Meranerhof steht. Wir treten in den Vorhof ein, lauter teure Nobellimousinen parkieren vor dem Eingang, auch ein Bentley mit Liechtensteiner
Karl Wolf im Garten des Meranerhofs
Nummer. Im Hotel frage ich den Concierge ob wir uns umschauen dürfen. In der Folge mache ich einige Aufnahmen von der Einrichtung des Hotels. Seltsam in diesen Räumen zu stehen, wo vor fast 100 Jahren meine Grossmutter mit ihren Kindern wohnte! Hinter dem Hotel ist ein schöner südlicher Garten mit alten Bäumen, neben der neu errichteten Halle mit dem grossen Pool, der zum Spa gehört, steht in einer Glasvitrine die Büste eines Mannes, es ist Karl Wolf.

Wir nehmen die Brücke über die Etsch, laufen die Strasse längs dem Ufer entlang und finden eine schöne Gaststätte mit einem arkadengesäumten Innenhof. Weil es schon vorher immer wieder genieselt hat, nehmen wir einen Tisch unter den Arkaden. Anschliessend nehmen wir ein Taxi zurück zu unserem Hotel. Am Abend sind die Nachrichten voll vom Brexit, die Engländer wollen nicht mehr Mitglied der EU sein, es herrscht allgemeine Verwirrung, die englische Börse ist im Absturz, Schottland, welches mehrheitlich Nein zum Brexit gestimmt hat, will unbedingt in der EU bleiben und erwägt sogar die Abtrennung von Grossbrittanien.

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