Montag, 20. Juni 2016

Ausflug in ein Fischerdorf

Hinter dem reich gedeckten Frühstückstisch
Gestern am Sonntag waren fast alle Läden geöffnet, Dubrovnik hat rund um die Uhr Betrieb und ich glaube dass die Zahl der Restaurants, Bars und Cafes nahe bei der Zahl der Häuser dieser Stadt liegt. Und was nicht der Gastronomie dient, hat mindestens einen Modeladen oder verkauft kitschige Reiseandenken an jedem Tag der Woche und bis spät in der Nacht. Deshalb konnten wir gestern noch die fehlende Butter und Konfitüre einkaufen und während Illa Toilette macht, bereite ich das Frühstück in der kleinen Küchenecke zu. Unter dem Geschirr auf der hohen Ablage sehe ich ein rostfreies Stahlkännchen mit seitlichem Stiel, welches offensichtlich für die Zubereitung von türkischem Kaffee gedacht ist. Ich fülle es mit kaltem Wasser, rühre zwei gehäufte Esslöffel Kaffeepulver ein und stelle es auf die vordere Heizplatte. Inzwischen betrachte ich das vorgestern auf der Fahrt gekaufte Stück Brot, es sieht etwas unansehnlich aus und deshalb entscheide ich mich fürs Toasten, finde in einem der Schränke eine stählerne Bratpfanne und setze mehrere Brotschnitten hinein. Unterdessen ist der Kaffee aufgekocht, ich ziehe ihn kurz vom Herd um ihn anschliessend -
Karte der Küste von Dubrovnik bis Mali Ston
nach türkisch/griechischer Art nochmals aufkochen zu lassen. Plötzlich riecht es ein wenig verbrannt, als ich den Toast kehre, sehe ich schwarze Krusten. Doch das Malheur lässt sich beheben, indem ich die Krusten mit dem Messer abkratze, auch der Kaffee ist ganz annehmbar. Lediglich die Situation bringt uns zum Lachen, wie wir nebeneinander auf dem Sofa hocken, vor uns der niedrige Salontisch, dahinter das grosse Himmelbett. Während wir frühstücken besprechen wir das Tagesprogramm. Wir wollen heute dem Trubel der Stadt entkommen, ein richtiges Fischerdorf besuchen und die Wahl fällt auf Mali Ston. Das Dörfchen ist pittoresk, ist für die Qualität seiner Austern berühmt und liegt im ersten Teil einer 90 km langen Halbinsel, welche sich schräg ins adriatische Meer schiebt und nur durch einen dünnen Meeresarm vom Festland getrennt ist.

Ich mache mich auf den Weg zur Public Garage, fahre dann hinunter zum Buze-Tor, wo Illa bereits auf mich wartet. Die Luft ist schon am Morgen sehr warm und wir sind froh, dass wir noch in der Woche vor der Abfahrt die Klimaanlage reparieren liessen. Die Fahrt führt in zahlreichen Serpentinen entlang der Küste, links die blaue Adria, die oft eher wie ein Binnensee wirkt, da viele Inseln vor der Küste liegen, rechts verkarstete Trockenhänge mit Buschwerk, ähnlich der korsischen Macchia. Vor den Dörfern, die fast alle dem Tourismus dienen, senkt sich die Strasse zum Meer ab, macht dann meist einen Bogen um einen kleinen Hafen um anschliessend wieder Höhe zu gewinnen. Nach einer
Blick auf einen Meeresarm vor Mali Ston
guten Stunde dann endlich hinter Zaton Doli ein Schild mit der Abzweigung nach Ston, wir fahren auf die Halbinsel. Nach kurzer Zeit taucht rechterhand ein enger Meeresarm auf, die Wasseroberfläche ist von in Linien angeordneten regelmässigen Punkten übersät, es handelt sich wahrscheinlich um die bekannten Austernzuchten, die im sauberen Wasser dieser geschützten Meeresarme besonders gut gedeihen. Das enge Strässchen führt durch dichte Vegetation, immer wieder ein kurzer Durchblick aufs Meer, dann ein Nebensträsschen, welches steil zur
Die Austern von Mali Ston sind besonder schmackhaft
Küste hinabführt, ein kleiner Hafen mit rund gemauertem Turm, im Vordergrund ein Parkplatz unter schattigen Bäumen, zur Rechten ein verheissungsvoll aussehendes Fischrestaurant und dahinter ein Eingangstor in einer alten Festungsmauer, welche den Kern des Dörfchens umgibt. Wir treten durch das Tor, machen einen rekognoszierenden Rundgang durch den Ort und kehren dann zum Restaurant am Hafen zurück. Wir haben heute wieder ein Mal eine sehr gute Wahl getroffen. Als Vorspeise gibt es für mich natürlich Austern, Illa wählt den Oktopussalat und durch ein Missverständnis beim Bestellvorgang auch
Der Kellner seziert das Prunktstück: Dorade im Salzmantel
noch einen Hummersalat, den wir uns beide teilen. Als Hauptgang wählen wir eine grosse Dorade, die der Kellner uns im frischen Rohzustand präsentiert, er schlägt uns die Zubereitung im Salzmantel vor und dies müssen wir nicht bereuen, denn das zarte und saftige, auf den Punkt gebratene Fischfleisch wird von den Dünsten des erhitzten Meersalzes in wunderbarer Weise durchzogen. Dieses Gericht wird natürlich von einem süffigen kroatischen Weisswein begleitet, den ich als Autofahrer leider nur begrenzt geniessen kann. Zum Kaffee schlägt der Kellner Illa einen örtlichen Rakija, der - ähnlich der Tessiner Grappa - mit grünen Kräutern versetzt ist. Obwohl der Name vom türkischen Raki
Der runde Turm am Eingang des Hafens von Mali Ston
hergeleitet ist, bezeichnet Rakija auf dem Balkan praktisch alle Arten von Obstschnäpsen und kann - wie im vorliegendem Fall - ein Weintrester nach Grappa-Art oder auch ein Sliwowitz sein. Uebrigens schmeckt er Illa so gut, dass wir beim Kellner eine Flasche für den Heimkonsum kaufen.

Nach dem Essen machen wir noch einen Spaziergang zum runden Turm beim kleinen Hafen, die Sonne brennt nun so heiss, dass wir in den Schatten des Turms flüchten, dabei beobachten, wie eine dschunkenhaft aussehende Jacht aus dem Hafen ausläuft.
Muscheln im klaren Wasser des Hafens von Luka
Etwas später sitzen wir dann wieder im Auto und machen eine Erkundungstour, wobei wir einer engen Strasse, fast einem Feldweg, durch die dichte mediterrane Vegetation folgen. Der Weg führt plötzlich steil nach unten und endet im kleinen Fischerort Luka, der offensichtlich neben der Austernzucht von ein Paar Touristenpensionen lebt. Wir laufen die Mole entlang, das Wasser ist kristallklar und ich mache ein Foto von einem Muschelbündel, welches auf der Verankerung einer Boje gewachsen ist. Am Ende der Mole ein grösseres Haus, welches ein Betrieb im Zusammenhang mit der Austernzucht zu sein scheint, an der Mole davor ein Ponton, mit dem
Ponton zur Austernverarbeitung
die Muscheln offensichtlich geerntet und bearbeitet werden. Hinter diesem Haus beginnt dichte Vegetation mit Felsen, die zum Meer hin in grobes Geröll übergehen, etwas weiter hinten ein gerölliger Strand, wo einige Leute unter Sonnenschirmen liegen.

Einen Moment überlegen wir, ob wir nicht auch dorthin gehen sollten, ein kühles Bad wäre eine herrliche Erfrischung, doch sehen wir keinen Weg der zu dieser Stelle führt, auch ist die Temperatur zu heiss für eine Wanderung in unbekanntem Terrain. So kehren wir zurück in die Kühle der Klimaanlage unseres Wagens und beginnen mit der Heimfahrt. Bevor wir die Halbinsel verlassen, kommen wir zum
Die Festungsmauer von Ston klettert den Berg hoch
grösseren Ort Ston, der - wie viele der Orte an dieser Küste - mit einer Stadtmauer umgeben ist. Zu unserer Verwunderung zieht sich diese Mauer nicht nur um den Ort sondern reicht auch den dahinter liegenden Berg hinauf, wobei ihr Aussehen an die chinesische Mauer erinnert. Welchem Zweck diente diese Ausdehnung der Mauer, sollte sie verhindern, dass Gegner eine beherrschende Position oberhalb des Orts einnehmen konnten?. Dass dieser Gedanke nicht abwegig ist, zeigte ja der Krieg vor wenig mehr als 20 Jahren, wo die Stadt Dubrovnik von den bosnischen Serben von dem hinter ihr liegenden Berg beschossen wurde. Wir machen einen kurzen Halt am Rand des kleinen Orts bei einer kleinen Bar, ich erfrische mich mit einer Fruchtglace, Illa wieder mal mit einem Tonic-Wasser, wobei wir uns über den Sinn der Befestigung unterhalten, offenbar war dies auch schon früher eine unsichere Gegend.

Der verhängnisvolle Geröllstrand
Auf der Rückfahrt, die Strasse macht einen Bogen um eine Bucht, sehen wir plötzlich einen Strand mit Badenden, ich bekomme Lust aufs Wasser, Illa unterstützt mich in diesem Wunsch. Ueber einen steilen Pfad, der durch stachelige Vegetation führt, gelangen wir zum Strand, der hier praktisch nur aus grobem Geröll besteht. Die anderen Leute liegen unter mitgebrachten Sonnenschirmen, wir finden einen leidlich schattigen Platz unter einem Gebüsch neben einer Geröllhalde. Ich wechsle in die Badehose und stakse dann ungeschickt über das grobe Geröll zum Strand, da ich seit langem nicht mehr im Meer gebadet habe, mit entsprechend grosser Vorfreude. Das Wasser ist kühl und erfrischend und von kleinen Wellen bewegt. Leider muss ich erkennen, dass schon diese geringfügigen Wellen genügen, um mich - mit meinem seit meiner Herzoperation vor zwei Jahren stark verschlechtertem Gleichgewichtssinn - stark zu verunsichern. Ich versuche krampfhaft das Gleichgewicht zu bewahren und in tieferes Wasser zu gelangen, wo ich schwimmen kann. Dabei achte ich auf die Beschaffenheit des Bodens, ob vielleicht Seeigel vorhanden sind, doch der Grund ist nur mit demselben weisslichen Geröll bedeckt. Endlich gelange ich in tieferes Wasser und setze zum Schwimmen an, nur um zu merken, dass auch dies beeinträchtigt ist. Früher konnte ich schwimmen und tauchen wie ein Fisch, jetzt hänge ich wie ein Anfänger schräg im Wasser und mache schnelle Tempi, um den Kopf oben zu halten. Erst nach einiger Zeit entspanne ich mich, mache dann einen Bogen zum Land zurück und rufe zu Illa, dass der Strand hier sauber und unproblematisch ist. Genau in diesem Moment sehe ich links unter mir dunkle kugelige Gebilde, ähnlich Kastanien, dann auch zur rechten Seite, dann überall. Vorsichtig schwimme ich zwischen den Seeigelkolonien hindurch, setze meine Füsse vorsichtig auf den Boden und wate die paar Meter bis zum Ufer. Illa auf mich wartet, ich freue mich, dass es ohne Verletzungen abgegangen ist, obwohl die letzten Meter über das spitze Karstgeröll vom Ufer bis zu unserem Lagerplatz sehr schmerzhaft auf die Fusssohlen einwirken. Gerade als ich die Socken anziehen will bemerke ich, dass ich seitlich an einer Zehe des rechten Fusses blute. Illa inspiziert ihn sofort aufs gründlichste und findet dann noch zwei weitere blutende Stellen, offensichtlich habe ich doch einen Seeigel erwischt.

Illa erweist sich als wahre "Florence Nightingale", beim Wagen besteht sie darauf, dass ich sofort die noch versiegelte Autoapotheke öffne, leider enthält diese nur Binden und Bandagen, jedoch kein Leukoplast und vor allem keine Desinfektionsmittel. Im nächsten Küstenörtchen finden wir eine Apotheke, ich muss mich schräg auf den Fahrersitz setzen und Illa verarztet dann die Wunden auf sorgfältigste Art und Weise, zuerst mit Desinfektionsspray, dann mit Bepanthen, um sie anschliessend zu verpflastern. In Dubrovnik angekommen, setze ich Illa beim Buze-Tor ab, fahre dann wieder zurück zur Public Garage. Anschliessend absolviere ich - trotz meines lädierten Fusses - eine sportliche Glanzleistung. Auf halbem Rückweg, das Buze-Tor liegt bereits vor mir - realisiere ich, dass ich meine Kamera im Auto zurückgelassen habe. Nach einiger Ueberwindung siegt mein Hobby und ich wandere den steilen Weg bis zur Garage zurück. Beim zweiten Mal gelange ich bis zum Buze Tor, dann die steile Stiegenflucht bis zu unserer Pension und die beiden Treppen hinauf bis zu Illa. Nachdem ich ins Zimmer eingetreten bin, realisiere ich, dass die Früchte, welche wir fürs morgige Frühstück in Ston gekauft hatten, im Auto geblieben sind. Diesmal braucht es schon mehr Ueberwindung, doch ich mache mich nochmals auf den Weg. Wie immer merke ich übrigens, dass lange Wanderungen sich auf meinen Gleichgewichtssinn positiv auswirken.

Als ich in die Pension eintrete, merke ich, dass das Büro besetzt ist. Schon von Anfang hatte ich gesehen, dass das ständige Treppensteigen für Illa eine Belastung ist, dazu ist Dubrovnik zwar eine wunderschöne Stadt, doch ähnlich wie bei Venedig auf der anderen Seite der Adria ist es von Touristen überlaufen, sodass einem eine Woche trotz der Schönheit lang werden kann. Ich trete also ins Büro ein und stelle die Frage an die junge Frau, ob wir unseren Aufenthalt abkürzen können. Sie ist bereit auf meinen Wunsch einzugehen, will aber zuerst noch mit der Direktion sprechen. Auf jeden Fall müssten wir jedoch noch einen Tag bleiben. Ich eile mit der guten Botschaft zu Illa und wir machen uns bereit für den Abendspaziergang.

Wir lassen uns durch den Strom der Passanten auf dem Stradun treiben, laufen durch viele Gässchen auf der Suche nach einem Restaurant, wo wir nur einen Drink nehmen können, doch alle Tische sind fürs Abendessen gedeckt und die Kellner dulden keine Ausnahmen. Dann - nach längerer Suche müde geworden - geben wir nach und setzen uns fürs Abendessen an einen Tisch eines Restaurants, welches wir an jeder Strassenecke hätten finden können: Illas Rasnici und meine Cevapcici entsprechen dem unteren Bereich der Mittelklasse der balkanischen Küche, ganz im Stile dieser Küche ist auch der vorher als Apero gewählte Gin Tonic viel zu
süss. Doch dann endet der Abend dann doch noch mit einer erheiternden Note, als wir die englische, deutsche und französische Version der Speisekarte studieren. In der englischen Version lese ich unter Punkt 8 sprachlich korrekt "Fish platter with scampi and sea-bass (2 persons)". Ich kann mir nicht erklären, auf welchem Weg die deutsche Version "Fisch Gehaltsmonitor mit Scampi und Seebarsch (für 2 Personen) entstanden ist. War vielleicht ein automatisches Uebersetzungsprogramm wie Babelfisch am Werk? Doch wenigstens stimmen in der deutschen Version die Namen der Meerestiere. Jedoch in der französischen Version wird der Seebarsch zu einem "poisson de la mer basse", was lautmalerisch nur noch entfernt an "sea-bass" erinnert.
Eines der typischen Schaufenster von Dubrovnik

Auf dem Rückweg zu unserem Appartement fällt mir auf, dass alle Läden der Altstadt dieselben Fenster haben, ein Rundbogen, der in der einen Hälfte volle Stehhöhe erreicht, auf der anderen Seite jedoch zum Fenster verkürzt ist, das Ganze von einem steinernen Bogen umgeben. Manchmal dient der höhere Teil als Eingangstüre. Später erfahre ich, dass diese modern wirkende Normierung bereits im Mittelalter befohlen wurde. Wir queren den stimmungsvoll erleuchteten Stradun, erklimmen die Stiegen der Dropceva ulica und sinken müde in unser Bett.



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