Montag, 27. Juni 2016

Von Meran übers Bündnerland nach Hause

Heute morgen geniessen wir zum zweiten Mal das gute Frühstück dieses gastlichen Hauses. Es fällt auf, dass die meisten Gäste an den Nebentischen nicht das erste Mal hier sind und auch wir werden bei einem zukünftigen Besuch in Südtirol sicher hier logieren. Als wir unsere Koffer packen, das übliche Gefühl am letzten Tag einer schönen aber auch anspruchsvollen Reise: einerseits ein wenig Trauer, dass die abenteuerliche Phase mit ihrer Abwechslung zum normalen Alltag nun bald vorüber ist, andererseits jedoch die Freude auf die Gemütlichkeit des eigenen Hauses.

Die Hoteliersfamilie
Bei der Reception habe ich ein längeres Gespräch mit dem Enkelsohn, es geht um den Schwiegervater von Charles Parisis, in der Familie hiess es, er sei ein bekannter Heimatdichter gewesen, aber in den Informationen, die ich nun bekommen habe, wird er nur in seiner Funktion als Pensionsbesitzer genannt. Der junge Mann weiss auch nichts Genaueres und geht ins Internet. Dann werden seine Augen gross, er sagt nur, dann ist er ja "der" Wolf. "Dieser" Wolf ist ein sehr prominenter Meraner gewesen, neben seiner Tätigkeit als Hotelier war er tatsächlich Heimatdichter und verfasste zahlreiche Theaterstücke für die Meraner Bühne, auch war er einer der Initiatoren des Meraner Traubenfests, welches auch heute noch jedes Jahr gefeiert wird. Etwas später verabschieden wir uns von der freundlichen Hoteliersfamilie, ich erhalte die Erlaubnis zu einem Foto.

Im oberen Vintschgau
Hauptplatz von Glurns
Als ich das Navi mit Müstair programmieren will, spinnt es wieder, in immer kürzer werdenden Abständen unterbricht es die Tätigkeit und startet neu auf, sodass ich es schliesslich abschalte. Allerdings ist die Navigation nicht schwer, der Weg führt durch den Vintschgau, stetig dem Lauf der Etsch nach. Zu beiden Seiten der Strasse Obstplantagen, manchmal wird es an Ständen am Rand der Strasse angeboten. Als wir immer höher kommen staune ich, dass die Obstplantagen nicht aufhören, ein Beweis für das milde Klima von Südtirol.

Massive Bauart wie im Engadin
Um die Mittagszeit fahren wir durch ein altes Stadttor auf den zentralen Platz der kleinen Ortschaft Glurns, ringsum schöne alte Häuser, eines davon der Gasthof "Grüner Baum". Ich staune über die massiven Deckenbögen des alten Hauses, sehe eine Aehnlichkeit mit Engadiner Häusern, was ja wegen der grossen Nähe nicht erstaunlich ist. Wir bestellen beide "Eierschwammerl mit Knödeln" und auch dieses letzte Essen auf unserer Reise ist vorzüglich. Nach dem Essen gehen wir hinüber zu dem Laden mit Südtiroler Spezialitäten und kaufen Vingschgauer Fladen und Schüttelbrot sowie zwei Flaschen Marillenschnaps, einer davon für Derek und Simone bestimmt.

Kulinarischer Abschied von Südtirol
Eine halbe Stunde später sind wir schon in Müstair, haben die Grenze zur Schweiz überschritten. Was ich bisher nicht wusste ist, dass Müstair in der Verlängerung des Vintschgauer Tals liegt, es ist kein Pass zu überschreiten. Dieser Pass liegt vor uns, er ist von grosser landschaftlicher Schönheit und als wir das Schild "Livigno" vor der zum engen Tunnel führenden Nebenstrasse sehen, erinnere ich mich an eine schöne Reise mit den Schwiegereltern irgendwann in den Siebzigerjahren. Mittlerweile habe ich eine gute Idee, auf die ich schon viel länger hätte kommen können. Bisher hatte ich angenommen, die Fehlfunktion des Navi gehe auf einen Defekt dieser Software zurück. Dann
Direkt hinter der Grenze: die Kirche von Müstair
erinnere ich mich daran, dass die erste Massnahme bei streikenden Computern einfach ein Neustart ist, denn ich hatte das Smartphone auf dieser Reise immer eingeschaltet. Tatsächlich - nach dem Neustart funktioniert das Navi vorzüglich. Als erste Information befiehlt es uns die Strasse zum Vereinatunnel zu nehmen, ich folge dieser Anweisung ohne Zögern. Wir haben Glück, müssen nicht lange auf den Verlad warten, bereits eine Viertelstunde später befinden wir uns im Tunnel.

Während der Waggon gleichmässig rattert, kommt mir ein schrecklicher Gedanke. Nach
Einfahrt in den Vereinatunnel
dem Neustart war die Navigationssoftware von selber wieder aufgetaucht, als letztes Ziel hatte ich Müstair eingegeben. Könnte es sein, dass ich bereits auf der anderen Seite des Bergmassivs war, als ich den Neustart durchführte, dass wir durch diesen Tunnel wieder zum Ofenpass zurückgeleitet werden? Ich wage nicht Illa meine Bedenken mituzteilen und zum Glück tue ich dies nicht, denn als es wieder hell wird, befinden wir uns auf der richtigen Seite. Der Rest ist schnell erzählt, bald schon kommen wir an Seewis vorbei, ich erinnere mich an die Zeit vor zwei Jahren, als ich hier nach meiner Herzklappenoperation in der Reha war, den
Urwaldszene im Treibhaus
Morgen in der letzten Woche, als mein Gleichgewichtsgefühl plötzlich verschwunden war. Wenige Minuten später kommen wir bei Landquart auf die Autobahn, haben damit einen grossen Kreis geschlossen. Eine Stunde später fahren wir auf unseren Vorplatz, als ich auf die Kilometeranzeige schaue, zeigt sie 3163.5 km. Mein erster Weg führt mich zum Treibhaus, die Tomaten, die bei der Abfahrt gerade bis zu meinem Knie gingen sind in den elf Tagen teilweise bis auf Mannshöhe angewachsen.

Sonntag, 26. Juni 2016

Ein zusätzlicher Tag in Meran

Das Hotel Freiheim bietet nicht nur ein Zimmer mit allem Komfort - Badezimmer, gut eingerichtete Küche mit Essecke - sondern auch ein aussergewöhnliches Frühstück. Als wir in den kleinen Saal kommen, sehen wir ein reichhaltiges Buffet, zusätzlich zum üblichen Angebot guter Hotels gibt es auch noch lokale Spezialitäten. Ich bestelle wie üblich Tee und bekomme hier ein spezielles
Die hübsche Enkelin der Hoteliers
Produkt, das so gar nicht nach "Reformhaus" schmeckt. Die Tochter des Hauses ist Kräuterspezialistin und hat einen Vertrieb für Natur- und Heilpflanzen, sie bezieht ihn von einem Bergbauern, Vieles sammelt sie jedoch auch mit ihrer hübschen Tochter, die uns heute bedient. In Ermangelung eines eigenen Fotos habe ich ein Bild des Hotels verwendet, wo alle Mitglieder dieser nicht unhübschen und netten Familie werbetechnisch eingesetzt werden. Der Sohn des Hotelier-Ehepaars, Vater des Mädchens, hat übrigens Informatik studiert, leitet eine Firma, welche das Zahlungswesen aller Raiffeisenbanken zentral organisiert. Der Enkel hingegen scheint wieder in die Fussstapfen des Grossvaters treten zu wollen, er ist in einer Hotelfachschule und arbeitet jetzt in seinen Ferien tüchtig mit. Daneben hat er noch viele Hobbies, unter anderem liefert er Beiträge für einen lokalen kirchlichen Sender. Inmitten der kulinarischen Herrlichkeiten liegt ein aufgeschlagenes Buch mit
Frau Nagler-Genetti mit Enkel
dem heutigen Datum, es stammt von einem Kräuterpfarrer, der für jeden Tag neben geistlichem Zuspruch auch Ratschläge aus der Kräuterküche gibt, offensichtlich ein Südtiroler Pfarrer Künzle. Auch dies weist auf die religiösen Interessen dieser Familie hin, bei der alle Mitglieder zusammenarbeiten.

Nach dem ausgiebigen Frühstück will ich das Navi für die Gärten von Schloss Trauttmansdorff programmieren, doch es verweigert den Dienst. Schon gestern hatte ich gemerkt, dass die Navigationssoftware nach jedem Aufstart zwar das Reiseziel akzeptierte, jedoch nach einiger Zeit mitten in der Tätigkeit einen Neustart vollführte, wonach sie nach längerem Warten wieder die Arbeit aufnahm. Dies ist natürlich besonders unangenehm, wenn es kurz vor einer wichtigen Kreuzung passiert. Wegen der totalen Befehlsverweigerung muss ich heute in altmodischer Weise nach dem Weg fragen, nach einigen Umwegen, die an diesem steilen Hang zwischen Villen und Weinbergen sackgassenmässig enden, finden wir dann endlich den Parkplatz des Schlosses.

Das 1846 von Josef von Trauttmansdorff, Graf der Steiermark auf der Ruine einer viel älteren Burg erbaute Schloss  war in den Siebzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts bevorzugter Aufenthaltsort von "Sissi", der Kaiserin von Oesterreich, wenn sie mit ihren beiden Töchtern jeweils nach Meran zur Kur ging. So wie wir mit Schloss Miramare, einem ihrer Lieblingsschlösser diese Reise begannen, so beendigen wir sie also mit einem anderen ihrer Lieblingsorte. Nach zahlreichen Wirren, insbesondere in der Zeit des Faschismus, wurden Schloss und Umfeld 1990 von der Südtiroler Landesverwaltung
Zweig einer Wollemie
übernommen und auf dem zwölf Hektaren grossen Areal ein herrlicher Garten geschaffen. Er besteht aus vier Zonen, die fliessend ineinander übergehen: Waldgärten, Sonnengärten, Wasser- und Terrassengärten sowie die Landschaften Südtirols mit seinem einzigartigen Klima, welches von fast subtropischer Vegetation bis zu den Gletschern der Alpen reicht. Eine besondere Attraktion ist übrigens die australische Wollemie, die hier zum ersten Mal gezeigt wurde, ein Exemplar einer erst 1994 von einem australischen Ranger in einer abgelegenen Schlucht entdeckten und äusserst seltenen Koniferenart, die zur Gruppe der Araukarien gehört. Wegen der besonderen Schönheit wurde dieser Garten übrigens 2005 zum schönsten Italiens gewählt.

Der Garten zieht sich, beim Schloss beginnend, einen Hang hoch, wir wählen nicht die kurze Route, welche immer wieder über Stiegen steiler nach oben geht sondern den weiteren Weg, der in weiten Serpentinen langsam nach oben führt. Auf halber
Höhe beginnt es zu regnen, wir steigen schnell zum Schloss herunter und setzen uns unter das Dach der Veranda des Cafes, trinken einen Apero, bis der kurze Guss vorbei ist. Dann nehmen wir wieder den Weg nach oben, durch die Pflanzen, deren Farben durch die Nässe intensiver wirken.

Bald liegt das Schloss tief unter uns, wir nähern uns, plötzlich stehen wir auf einer Terrasse vor einem kleinen Pavillon, auf der Metallsäulen verteilt sind, die oben eine Klappe besitzen. Wenn man diese öffnet und mit der Nase
Unter uns liegt Schloss Trauttmansdorff, dahinter das Tal von Meran unter Wolken
schnuppert, kann man Pflanzengerüche einatmen, deren Namen man erraten soll. Dies ist garnicht so einfach, wir erraten nur einige sehr charakteristische Gerüche wie z.B. Lavendel.

Im obersten Bereich treten wir durch ein schmiedeeisernes Tor in einem der Höhepunkte dieses Wundergartens ein, dem "Garten der Liebe", in dem Natur und Kunst eine beeindruckende Synthese gefunden haben. Er beginnt mit der Statue eines Mädchens, die vor einem Felsband längs des Weges steht und führt schräg ansteigend zu einem flachen Bereich mit einem Teich mit Inseln, von denen jede wieder Figurengruppen trägt, die alle dem Thema der Liebe gewidmet sind, auf schmalen Stegen kann man von Insel zu Insel gehen. Mit meinem reduzierten Gleichgewichtssinn laufe ich lieber um den See, der Weg führt entland der Felswand, welche hier durch hohe Büsche abgeschirmt ist, sodass sich kleine Nischen bilden, in denen wiederum Figurengruppen stehen, über die von oben herabkommendes Wasser fliesst.

Der Garten schliesst zuoberst mit einer Voliere ab, die man durch eine Schleusse mit zwei Türen betritt, innen zwei
Papageien und zahlreiche Wellensittiche. Damit haben wir die wesentlichen Teile dieser Anlage gesehen, mit Ausnahme des unten seitlich neben dem Schloss sichtbaren Wassergartens, der von einer japanischen Gartenarchitektin angelegt wurde. Doch wir sind nun müde und auch das Wetter ist zu unsicher für weitere Spaziergänge.

Wir kehren zum Auto zurück, es ist unterdessen Mittag geworden und wir suchen ein Restaurant mit Südtiroler Spezialitäten. Ich folge einer Strasse, welche zum Dorf Tirol führt, welches oberhalb von Meran liegt. Im Dorf fahren wir an mehreren gut aussehenden Gasthäusern vorbei, ich fahre noch weiter hoch bis zu einem urigen Gasthof, der den seltsamen Namen "Zum schlechten Seppl" trägt. Wir finden einen freien Tisch  und bestellen eine "Merende".

Dieses typische Südtiroler Gericht leitet seinen Namen vom italienischen "Merenda" ab und bezeichnet einen deftigen
Eine typische Südtiroler Platte: die Merende
Vesperteller, bestehend aus Speck und Schinken sowie lokalen Käsen, den man stilgerecht mit einem der vielen guten Südtiroler Weine begleitet. Illa zieht wie immer eine weisse Sorte vor, ich wähle einen leichten Roten. Dazu essen wir Vinschgauer Fladenbrot, welches fast nur aus köstlicher Rinde besteht, es ist die weichere Variante des steinharten Schüttelbrots, welches wir auch manchmal zuhause essen. Dabei erinnere ich mich an Erzählungen der früheren Putzfrau meiner Mutter, die aus einem Südtiroler Bauernhof stammte. Frau Zürcher erzählte, dass auf dem Hof nur alle paar Monate dieses Brot gebacken wurde. Wenn dann ein solcher harter Fladen auf den Tisch kam, schlug der Grossvater mit der Faust in seine Mitte, sodass es in zahlreiche Splitter zerschellte, wonach sich jedermann bedienen konnte.

Eine ausgezeichnete Tagliata
Nach einer Siesta auf unserem Zimmer fahren wir am späteren Nachmittag wieder in die Stadt, gerade als ich den Wagen in einer Tiefgarage geparkt habe, beginnt ein sintflutartiger Regenguss. Zusammen mit anderen Passanten stehen wir unter dem Vordach der Parkgarage, hinter uns das grosse Gebäude der Therme, vor uns die Etsch, deren Wasser durch den vielen Regen braungefärbt wild in ihrem Bett tobt. In einer Regenpause laufen wir über die Brücke zur Altstadt hinüber und folgen mit dem Besuch des Restaurants Sigmund einem Tipp, den uns das Hotelier-Ehepaar gegeben hat. Ich bekomme eine vorzügliche "Tagliata", ein vorzüglich auf den Punkt rosarot gebratenes Filet, welches in Scheiben geschnitten auf Rucola serviert wird.

Samstag, 25. Juni 2016

Von Bled nach Kärten und über Osttirol nach Meran

Im Halbschlaf höre ich Vogelgezwitscher, dann werde ich unsanft völlig wach, da ein Lastwagen sehr geräuschvoll seine Waren bei der Mall abladet. Illa schläft noch, vorsichtig schiebe ich die dicken Vorhänge zur Seite und trete auf den Balkon hinaus, die erste Morgensonne bescheint die Insel im See. Ich hole mir den Tablet-PC und schreibe meinen gestrigen Blog fertig. Dann kommt plötzlich eine grosse Hornisse geflogen, macht Anstalten ins Zimmer zu fliegen. Schnell gehe ich ins Zimmer zurück und schliesse die Tür. Nach einem guten Frühstück sind wir dann bald auf der Strasse, nach wenigen Kilometern erreichen wir wieder die Autobahn und kurz darauf die Grenze zu Oesterreich,
Einfahrt zum Karawankentunnel
die wir problemlos überqueren, sowohl Oesterreich wie auch Slowenien sind ja Mitglieder der EU, Unmittelbar hinter der Grenze beginnt der Karawankentunnel. Er ist über 7 km lang und hat nur eine Röhre, d.h. man fährt mit Gegenverkehr, jedoch ist eine zweite Röhre bereits in Planung. Der Tunnel wurde in den Achzigerjahren gebaut, bei unserer ersten Slowenienreise mussten wir noch über einen äusserst steilen Uebergang, ich glaube es war der Loiblpass, von Kärnten nach Slowenien wechseln.
Untenstehend die Strecke, welche wir heute zu fahren gedenken.

Unsere heutige Route von Bled nach Meran
Bereits kurz nach dem Karwankentunnel kommt die Ankündigung der Ausfahrt nach Klagenfurt, von wo ja unser guter Freund Peter Uggowitzer stammt. Was ich nicht wusste ist, dass Klagenfurt direkt am Wörthersee liegt und da ich in Gedanken die Melodie vom "Weissen Rössl" memoriere, macht dies den Ausschlag. Erst als wir schon auf der Landstrasse sind, kommt es mir in den Sinn, dass das Weisse Rössl am Wolfgangssee liegt, den Ausschlag gibt aber ein Schild mit der Angabe, dass Klagenfurt noch 30 km entfernt ist. Wir sind nun aber doch neugierig auf den Wörthersee und nehmen die Strasse nach Velden, fahren durch den Kurort bis zu einer Parkanlage beim See. Dort steht eine Parkuhr mit einer Höchstparkdauer von 30 Minuten zu 0.50 Euro, meinen Unwillen erregt, dass diese Uhr keine Münzen unter 50 Cents akzeptiert, dafür besteht die Möglichkeit zum Einwurf
Was darf man denn am Wörthersee ?
von 1 und 2 Euro Münzen, natürlich ohne Wechselgeld. Da mir eine 0.50 Euro Münze fehlt, werfe ich verdrossen einen Euro ein, meine Stimmung hebt sich beträchtlich, als mit dem Parkschein nicht nur der Euro zurückkommt sondern in seinem Schlepptau auch noch eine 50 Cent Münze. Im Interesse der "Oesis" will ich annehmen, dass dieser Vorfall nicht Ergebnis einer Fehlfunktion sondern eine gezielte Massnahme zur Erfreuung von Touristen ist. Allerdings zeigt uns dann ein Schild bei den Parkanlagen, dass man hier keinen Spass versteht, weder für Touristen noch für Enten!


Die Autobahn führt uns zuerst das Drautal entlang, um die Mittagszeit erreichen wir Lienz, das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Zentrum Osttirols. Wir parkieren direkt vor dem Eingang der Altstadt und machen dann einen Spaziergang auf der Suche nach einem guten Gasthaus. Ein Passant gibt uns dann einen Tipp und wenige Minuten später sitzen wir an einem der Aussentische vor dem alten Gasthof Adlerstüberl und lassen uns ein gutes Bier schmecken, in meinem Fall eine alkoholfreie Weisse. Als Hauptspeise wählen wir beide eine Sülze, welche in ihrer lockeren Konsistenz, dem mageren Fleisch und den aromatischen Gemüsen an die bömische "Tlacenka" meiner Mutter erinnert, welche sie natürlich ohne Zuhilfenahme von Gelatine durch Auskochen von Kalbsfüssen herstellt. Ich vergrössere den Genuss indem ich zur Sülze eine knusprige Brezen esse.

Illa bei der Wahl von Schinken und Speck
Der nette Mann von vorher hat uns noch einen weiteren Tipp gegeben, wir möchten unbedingt Tiroler Schinken und Speck kaufen und suchen eine gute Metzgerei. Schliesslich ist Samstagnachmittag und wir wissen nicht bis wann die Geschäfte an unserem Reiseziel Meran heute geöffnet haben. Wir finden den Traum von einer Metzgerei in dem Durchgang, durch den wir vor dem Essen zum Restaurant gekommen sind. Wir kaufen mehrere Stücke Schinken und Speck, die wir uns vakumieren lassen, einige davon sind Mitbringsel für Derek und Simone und meine Mutter.

Seit dem Morgen sind wir heute der Drau entlanggefahren, welche ein praktisch von Ost nach West führendes Tal bildet, von Maribor in Slowenien bis nach Lienz. Auf dem Weg nach Südtirol folgen wir ihrem Lauf auch noch hinter Lienz, nur dass der junge Fluss - noch immer nach Osten uns entgegenfliessend - nun im Pustertal verläuft. Die erste grössere Stadt in Südtirol ist Bruneck, dann kommt Brixen, auf italienisch Bressanone, wo die Strasse nach Süden in Richtung Bozen abbiegt, an dem wir vorbeifahren. Die Strasse schwenkt nun wieder gegen Norden ins Etschtal hinein und gegen 16 Uhr erreichen wir Meran. Hier führt uns das Navi in ein schönes Villenquartier mit einer immer enger werdenden Strasse, endlich sind wir am Ziel, das Hotel Freiheim, eine wunderschön renovierte alte Villa aus der Gründerzeit. Es geht durch einen engen Torbogen, ich stelle den Wagen auf dem Kiesvorplatz ab. Als wir die Treppen zur Eingangstür hochsteigen, kommt uns ein älteres Paar entgegen, es ist das Hotelier-Ehepaar Nagler-Genetti, welches uns auf ganz herzliche Weise willkommen heisst. Nachdem wir das makellos modern eingerichtete Zimmer mit Küche und Bad bezogen haben, gehe ich zurück zu Herrn Nagler an die Reception und stelle die Frage, ob ihm das Hotel Continental bekannt ist. Dies war nämlich das Hotel, welches von Charles Parisis, dem Cousin meiner Grossmutter Euphémie, geb. Gobiet gebaut wurde. Er wird sofort lebhaft und sagt, dass er die alte Frau Parisis, die Witwe von Charles, noch gekannt hätte, nach dem tragischen Tod ihres Sohnes Wolfgang im 2. Weltkrieg hätte sie das Hotel gegen eine Leibrente abgegeben. Später sei das Hotel von der heutigen Besitzerfamilie Eisenkeil gekauft worden, die es auf die alte Pracht renovierte und in "Meranerhof" umbenannte.

Urgrossmutter Claire
An dieser Stelle muss ich kurz ausholen, was mir meine Mutter
erzählte, die es wiederum von Omama gehört hat. Nachdem mein Grossvater Ignaz Feichtinger im Februar 1923 frühzeitig in Budapest gestorben war, wurde Omama von ihrem Cousin Charles Parisis in sein Hotel Continental nach Meran mit ihren beiden Kindern eingeladen. Ich stelle mir eine schwarz gekleidete junge Frau vor, wie sie mit einem kleiner neunjährigen Jungen, meinem zukünftiger Vater und seiner Schwester Klari, einem vierzehnjährigen Teenager, aus Prag kommend auf dem Bahnhof von Meran eintrifft. Charles Parisis war der Bruder ihrer Mutter Claire Gobiet geb. Parisis, die in Prag auch als "die schöne Belgierin" bekannt war. Da ich über kein Bild von Charles Parisis verfüge, zeige ich die Bilder seiner Geschwister,
meiner Urgrossmutter Claire und ihrem Bruder Léon.

Ihr Bruder Léon
Charles Parisis muss ein seltsamer Mensch gewesen sein, mein Grossonkel Arthur Gobiet meinte sogar, er sei ein hochmütiger Mann mit sadistischen Neigungen gewesen. Seinen Sohn Wolfgang behandelte er mit Verachtung, auch konnte er meinen damals neunjährigen Vater nicht leiden. Hingegen hatte er an dessen Schwester Klari einen Narren gefressen, hätte sie am liebsten gleich in Meran behalten, damit sie später seinen Sohn Wolfgang heiraten würde. So gab er Klari bei Tisch immer die grössten Leckerbissen, verweigerte diese aber dem kleinen Heini, wobei es ihm ein diebisches Vergnügen machte, dass Omama sich über die miese Behandlung ihres Lieblings aufregte. Er wusste, dass Omama den Genuss von Alkohol für ihren Jungen ablehnte, doch er lehrte ihn die Worte "prego un po' di vino" auszusprechen und schenkte ihm dann Wein ins Glas. Wenn beim Frühstück sein weichzukochendes Ei nicht auf dem Punkt war, schleuderte er es zu Boden und da seine Frau Pia sich vor den Hotelangestellten schämte, musste sie den Schaden selbst zusammenkehren. Diese Frau Pia war die Tochter von Karl Wolf, einem bekannten Heimatdichter Südtirols. Hier endet die Familienerzählung, Mama wusste nur, dass der Sohn Wolfgang im zweiten Weltkrieg zur italienischen Armee in Afrika eingezogen worden war, dass er es bei Kriegsende noch zurück nach Italien geschafft hätte, dann aber auf dem Weg nach Norden verschollen sei.

Es muss Ende der Fünfzigerjahre gewesen sein, als ich mit den Eltern auf einer Ferienreise nach Meran kam. Damals hiess das Hotel noch Continental, wir gingen am Abend hin und setzten uns ins Restaurant. Alles wirkte ein wenig vernachlässigt, das Hotel wurde von Reisebussen frequentiert, was immer ein Zeichen von Abstieg ist. Wir interessierten uns wie die Geschichte der Parisis weitergegangen war, sprachen mit der Geschäftsführerin, einer älteren Dame, die auf unsere Fragen sofort mit Verschlossenheit antwortete.

Immerhin habe ich im Gespräch mit unserem Hotelier neue Einzelheiten erfahren, er hat die alte Frau Parisis noch gekannt und das Continental heisst heute Meranerhof und ist eines der besten Häuser des Kurorts. Aufs Zimmer zurückgekehrt gehe ich ins Internet und gebe bei Google "Parisis" und "Meranerhof" ein, finde sofort eine Seite, auf der die Vorgeschichte des Meranerhofs geschildert wird. Die Geschichte beginnt im Jahr 1886 als ein junger Mann namens Karl Wolf  die Villa Adelheid im Zentrum von Meran am Ufer der Etsch gelegen kauft um sie in die Pension Wolf umzubauen. Später wird Wolf krank und übergibt seine Pension an den Schwiegersohn Charles Parisis, der seine Tochter Pia geheiratet hat. Dieser lässt die Pension teilweise abbrechen und erbaut auf ihren Fundamenten das feudale Hotel Continental, welches im Jahr 1913 eröffnet wird. Als Omama mit ihren Kindern Klari und Heini dort zu Besuch weilte, war das Hotel also gerade 10 Jahre alt. Irgendwann in den Dreissigerjahren erbt der Sohn Wolfgang das Hotel in einer sehr schweren Zeit, er wird im Jahr 1943 zum Militär eingezogen und eines Tages kommt die Meldung von seinem Tod nach Meran. Seine Mutter Pia kann das Hotel nicht alleine führen, sie übergibt es an ihre Cousine Grete Cacak, die es im Jahr 1948 neu eröffnet. Aber auch diese Cousine hat kein Glück mit dem Hotel, sie verkauft es im Jahr 1966 an den erfolgreichen Geschäftsmann Arthur Eisenkeil, dessen Familie das Hotel noch heute führt. Er führt eine grosszügige Renovation durch, wonach das Hotel wieder im alten Glanz dasteht.

Am späteren Nachmittag entschliessen wir uns zu einem Besuch des Hotels Meranerhof, der Hotelier meint, dass es nur ein kurzer Spaziergang zum Stadtzentrum sei. Der Spaziergang erweist sich dann doch als längere Wanderung, nach einer guten halben Stunde überqueren wir die Etsch, gelangen zum
Einige Ansichten des Hotels Meranerhof, vormals Continental
grossen Gebäude der Therme neben der das Hotel Meranerhof steht. Wir treten in den Vorhof ein, lauter teure Nobellimousinen parkieren vor dem Eingang, auch ein Bentley mit Liechtensteiner
Karl Wolf im Garten des Meranerhofs
Nummer. Im Hotel frage ich den Concierge ob wir uns umschauen dürfen. In der Folge mache ich einige Aufnahmen von der Einrichtung des Hotels. Seltsam in diesen Räumen zu stehen, wo vor fast 100 Jahren meine Grossmutter mit ihren Kindern wohnte! Hinter dem Hotel ist ein schöner südlicher Garten mit alten Bäumen, neben der neu errichteten Halle mit dem grossen Pool, der zum Spa gehört, steht in einer Glasvitrine die Büste eines Mannes, es ist Karl Wolf.

Wir nehmen die Brücke über die Etsch, laufen die Strasse längs dem Ufer entlang und finden eine schöne Gaststätte mit einem arkadengesäumten Innenhof. Weil es schon vorher immer wieder genieselt hat, nehmen wir einen Tisch unter den Arkaden. Anschliessend nehmen wir ein Taxi zurück zu unserem Hotel. Am Abend sind die Nachrichten voll vom Brexit, die Engländer wollen nicht mehr Mitglied der EU sein, es herrscht allgemeine Verwirrung, die englische Börse ist im Absturz, Schottland, welches mehrheitlich Nein zum Brexit gestimmt hat, will unbedingt in der EU bleiben und erwägt sogar die Abtrennung von Grossbrittanien.

Freitag, 24. Juni 2016

Ein Vormittag in Ljubljana, dann nach Bled

Ich wache kurz nach 5 Uhr auf, neben mir schläft Illa noch tief und fest. Heute ist der Tag unserer goldenen Hochzeit und ich denke an jenen Tag vor einem halben Jahrhundert, an all die Menschen, die nach der kirchlichen Trauung mit uns im fränkischen Schloss und Weingut Saaleck bei Hammelburg feierten. Wie viele von ihnen sind nicht mehr unter uns! Ich denke an meinen Vater, meine Schwiegereltern Seppl und Ziska Auerbach, die mir in Lohr ein zweites geborgenes Elternhaus boten, an meinen lieben Opa Karl Richter, an Onkel Rudi und Tante Klari, an ihren Sohn und Erben der Glockengiesserei Rudi junior, der nur wenige Jahre später mit seiner Frau Ida viel zu jung von uns ging. Ich sehe Rudi noch vor mir, wie er - typisch für seinen Charakter - mir strahlend einen wunderschönen Perserteppich überreichte, sich an meiner Begeisterung erfreute. Ich denke auch an Tante Loni und Onkel Leo, damals noch ein elegantes Paar in den besten Jahren und realisiere, dass
Morgendämmerung vor unserem Hotelfenster
es zunehmend einsam um einen wird, wenn man die goldene Hochzeit feiert. Im Fenster ein goldener Schein, ich stehe vorsichtig auf, hole die Kamera und schiesse ein Bild von der Morgenstimmung. Anschliessend gehe ich an den Computer, in der Mailbox finde ich eine Nachricht von unseren Nachbarn René und Maya, die sich mit ihrem Wohnwagen und ihrem grossen polnischen Hütehund auf einer ausgedehnten Skandinavienreise befinden, ich beantworte die Mail umgehend.

Gestern abend haben wir uns kurzerhand entschlossen, noch einen Tag im nahegelegenen alpinen Kurort Bled zu verbringen, der kleine See mit der romantischen Insel, auf der eine Kirche steht, ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Slowenien und bei unserer ersten Reise vor fast fünfzig Jahren hatten wir ihn nicht angesehen. Doch vorher wollen wir die schöne Stadt Ljubljana nochmals bei Tag besichtigen und so fahren wir nach dem Frühstück in die Stadt, finden einen Parkplatz längs der Promenade, die den Fluss begleitet.

Die Häuserfront der Altstadt entlang dem Fluss
Es ist eine exquisite Stadt mit vielen Kunstläden, Antiquitäten und Buchhandlungen, dazwischen Restaurants, wie man sie heute noch in Prag, Budapest oder Wien antreffen kann, kurz - die Habsburger haben deutlich ihre Spur zurückgelassen. Wieviel Leid hätte man Europa ersparen können, wenn dieses Oesterreich-Ungarn, ein Land, in dem man schon lange vor der EU ohne Pass von der Ukraine bis an die Adria reisen konnte, nicht im Gefolge des ersten Weltkriegs untergegangen wäre. Wie sagte der tschechische Historiker Frantisek Palacky in seinem Brief an den Fünfzigerausschuss in Frankfurt im Jahre 1848: "Wahrlich, existierte
Einer der vielen Antiquitätenläden
der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen. Diese Aussage eines tschechischen Historikers und Patrioten erfolgte kurz bevor der Nationalismus in Europa sich auszubreiten begann. Knapp 20 Jahre später erfolgte dann die erste Katastrophe mit der Schlacht von Königsgrätz, wo Oesterreich von Preussen besiegt und aus dem Deutschen Bund herausgedrängt wurde, um dann ein halbes Jahrhundert später endgültig von der Landkarte zu verschwinden. Mit dem Untergang der Donaumonarchie entstanden entlang der Donau eine Menge meist instabiler und schwacher Staaten, die den beiden mächtigen Nachbarn Deutschland und Russland nicht mehr Paroli bieten konnten und sukzessive zu deren Opfer wurden. Ich kann meinen Grossvater verstehen, der schwer am Untergang Altösterreichs litt und der diese Stadt liebte.

Tito - ein Versatzstück der Geschichte, zwischen Puppen und Kochbüchern
Wir schlendern weiter durch die kleinen Gässchen, Illa sucht einen Kamm, da sie ihren alten verloren hat und ich hätte Bedarf nach einem Haarschnitt, doch die von uns besuchten Läden haben nicht den
Bauernmarkt in Ljubljana
passenden Kamm bzw. keinen Termin für mich. Wir kommen zu einem grossen Bauernmarkt, der mit seinen leuchtenden Obst- und Gemüsesorten die meisten uns bekannten Märkte in den Schatten stellt, sogar den Markt in Mannheim. Es ist wieder ein heisser Tag, wir suchen den Schatten der Häuserzeilen und stillen den Durst mit einem Schwepps in einem pannonischen Cafe, welches zahlreiche ungarische Spezialitäten auf der Karte hat. Ich kann mich noch dunkel an unsere erste Reise vor fast 50 Jahren erinnern, die Stadt hat seither gewaltig an Strahlkraft gewonnen und Slowenien ist sicher das Land des ehemaligen Jugoslawiens, welches völlig in Mitteleuropa
Er ist wieder da - leider!
angekommen ist. Doch in einer der Zeitungen im Café sehe ich einen Musiker mit Stirnlocke und Chaplin-Bärtchen, der mich irgendwie an einen Mann erinnert, der in vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks eine traurige Wiedergeburt erlebt, entsprechend dem blöden deutschen Bestseller dieser Saison: "Er ist wieder da!"

Gegen elf Uhr treten wir die Fahrt nach Bled an, es ist eine kurze Fahrt von knapp einer Stunde und auch keine Fehlinvestition, denn diese Autobahn werden wir morgen zur Fahrt nach Meran benutzen, welches wir zum nächstes und letzten Ziel unserer Reise erkoren haben. Die letzten paar Kilometer geht es auf
Vor unserem Fenster - die Insel mit dem Kirchlein
einer Nebenstrasse bergaufwärts, vom Ortseingang von Bled geht es dann abwärts und bald sehen wir im Hintergrund den See. Unser Hotel "Best Western Lovec" liegt nur zwei Blöcke von seinem Ufer entfernt, als wir auf den Balkon unseres Zimmers hinaustreten sehen wir über den Dach einer Mall den See mit seiner berühmten Insel direkt vor uns, zur Rechten wie ein Adlerhorst auf dem Hügel das Schloss von Bled.

Noch immer habe ich Bedarf für einen Coiffeur, denn meine Haare sehen inzwischen verboten aus, an der Reception erfahre ich, dass ein guter Salon im Wellnessbereich des
Wie ein Adlerhorst thront die Burg von Bled über dem Ort
grossen Hotels nebenan zu finden ist. Ich rufe dort an und bekomme einen Termin für 13 Uhr. Illa ist mit dem Resultat überraschend zufrieden, wir gehen zum Mittagessen in das Gartenrestaurant unseres Hotels und ich esse eine Krajnska Klobasa mit Apfel-Kohl-Salat, eine lokale Wurstspezialität.

Der Nachmittag ist noch jung und wir wollen noch etwas unternehmen. Wir laufen die paar Schritte zum See hinunter und finden eine Barke mit Baldachin mit einem kräftigen Slowenen als Bootsmann, der auf Kundschaft wartet. Wir sind seine ersten Kunden und bekommen einen Platz in der Mitte einer der beiden Bänke zugewiesen, welche zu beiden
Auf dem Weg zur Insel
Seiten des Boots angeordnet sind. Es dauert noch mindestens eine Viertelstunde bis das Boot mit 16 Personen gefüllt ist. Eine Afroamerikanerin, die als Letzte ins Boot steigt, bringt das Boot, nachdem sie sich auf unsere Seite gesetzt hat, ziemlich in Schräglage, sie wird vom Bootsmann gebeten, sich auf die andere Seite zu setzen. Wir sind eine internationale Gruppe, denn neben der Amerikanerin sitzt schräg gegenüber von uns ein altes japanisches Ehepaar, neben ihnen ein jüngeres mit einem kleinen Mädchen, direkt gegenüber von uns zwei junge Japanerinnen, eine davon sehr hübsch, die uns mit ihren Selfie-Stangen andauernd fast ins Gesicht fahren.
Zwei fleissige Japanerinnen machen dauernd Selfies

Die Fahrt zur Insel dauert gute 20 Minuten, unser Bootsmann kommt ganz schön ins Schwitzen, man spürt seine Kraft, wenn nach jedem seiner entschlossenen Ruderschläge das Boot einen kleinen Satz nach vorne macht. Langsam kommt die Insel näher, unser Bootsmann macht zuletzt eine Drehung um 180° damit wir über das Heck bequem auf das Pier steigen können. Die Insel ist bewaldet, der Weg hinauf zur Kirche bietet als Alternative eine steile Treppe oder einen längeren Fussweg. In Anbetracht unserer Kondition wählen wir den Weg und kommen etwas später bei der Kirche an. Auch hier haben die geschäftstüchtigen Slowenen natürlich einen
Illa läutet die Glocke
Ticketschalter aufgestellt, nachdem wir zwei Billette erworben haben, treten wir in die kleine Kirche ein. Vor dem Altar hängt ein Glockenseil von der Decke herunter, eine Japanerin gibt mir ihre Kamera und bittet mich um eine Aufnahme während sie am Glockenseil zieht. Da sie offensichtlich keine Erfahrung mit Glockenläuten hat, dauert es sehr lange bis dann endlich die ersten Bimmeltöne erklingen. Sehr zufrieden übernimmt sie wieder ihre Kamera und dann ist dann die Reihe an Illa und mir die Glocke in Schwingung zu bringen. Wenn man weiss wie dies zu geschehen hat - Illa hat als Mitglied der katholischen Pfadfinderschaft von Lohr bereits Glocken geläutet und ich hatte als Neffe eines Glockengiessers und Sohn eines Erfinders von Läutemaschinen schon in frühester Jugend viel mit der Materie zu tun - dann ist das Läuten sehr einfach. Man muss sich ganz einfach der Schwingungsfrequenz der Glocke anpassen, immer im rechten Moment am Seil ziehen, wobei man möglichst ein wenig hochspringt und das eigene Gewicht mit einsetzt. Uebrigens heisst es, dass derjenige welcher die Glocke läutet, einen Wunsch erfüllt bekommt. Als ich dies tue, denke ich mit aller Intensität an meinen Wunsch: weitere fünfzig Jahre sind leider nicht möglich, doch noch so viele Jahre wie möglich und in guter Gesundheit!

Socken in Sandale à la Japonaise
Draussen feiert eine Hochzeitsgesellschaft im kleinen Gartenrestaurant hinter der Kirche, wir schauen dem Treiben kurz zu, sehen dann, dass unser Bootsmann, der an einem Nebentisch sein Bier getrunken hat, aufgestanden ist. Er hatte uns 20 Minuten zur Verfügung gestellt und so wandern wir den abschüssigen Weg vorsichtig zum Boot herunter. Auf der Rückfahrt mache ich ethnologische Studien. Eine Eigenschaft, die spiessigen deutschen Touristen zugeschrieben wird, ist das Tragen von Socken in offenen Sandalen. Ich kann diese Sitte auch bei dem älteren, übrigens sehr eitlen Japaner konstatieren - er überprüft alle paar Minuten seine Frisur - denn auch er trägt Socken in seinen Sandalen, allerdings die japanische Variante, bei der jede Zehe gleich einem Handschuh ihr eigenes Futteral hat. Ich kann diesem Anblick nicht widerstehen und schiesse verstohlen ein Foto.

Gegen Abend wollen wir unser Hochzeitsjubiläum nochmals in einem Restaurant feiern, ich wähle das Restaurant Mlino, welches - laut Auskunft meines Smartphones - nur 800 m links am Seeufer von uns gelegen liegen soll. Also entschliessen wir uns zu einem Fussmarsch, die Sonne hat auch schon einiges von ihrer Strahlkraft verloren. Wir laufen zum Seeufer herunter, dann entlang schöner Hotels dem See entlang, nach einem guten Kilometer hören die Häuser auf und immer noch ist unser Restaurant nicht in Sicht. Da verliere ich die Geduld, wir laufen zum letzten Hotel zurück, wo ich Illa auf einem Stuhl vor dem Eingang zurücklasse. Den Weg zu unserem vor dem Hotel geparkten Hotel mache ich in Rekordzeit, wenig später stehe ich mit dem Auto vor Illa und kurze Zeit darauf sehen wir das Restaurant Mlino vor uns, ein schönes altes Haus mit einem grossen Gartenrestaurant, welches nur durch die Uferstrasse vom See getrennt ist.

Strukli, eine slowenische Spezialität
Illa wählt einen Schinkenteller, ich ein Wildgulasch mit "Strukli" einer slowenischen Spezialität. Das Gulasch, dem ich mit grossen Erwartungen entgegensah - im Internet sah ich einen kleinen Gulaschkessel, aus dessen Inhalt eine Paprikaschote hervorragte - enttäuscht, denn es ist in der Art der östlichen Küche mit sehr viel Einbrenn gemacht, sodass es weitgehend die Konsistenz von Mehlpapp hat. Hingegen sind die Strukli ein positives Erlebnis und rufen nach Imitation in unserer Küche. Dabei handelt es sich um eine Art Strudelteig, in den Frischkäse eingerollt wird. Der gebackene Strudel wird dann in Scheiben geschnitten, die mit Semmelbröseln und flüssiger Butter übergossen werden. Zu diesem Essen trinken wir jeder ein Glas Bier und tauschen Erinnerungen an unsere Hochzeit aus. Illa erzählt mir, dass wir noch am Abend den ersten Streit unserer Ehe hatten, ich soll damals im Zorn gesagt haben, meine Mutter sei mein weibliches Ideal. Wahrlich keine kluge Bemerkung an einem Hochzeitsabend, doch Illa meint auch, dass ich vielleicht durch sie provoziert worden sei, allerdings hat sie dies vergessen. Heute nach einem halben Jahrhundert muss man darüber lachen, es ist schön, dass wir zusammengeblieben sind und dass sie mein Ideal ist.

Im Hotelzimmer verspüren wir beide unheimlichen Durst. Obwohl bereits zehn Uhr vorbei ist, laufe ich schnell in die Mall herunter und kaufe bei dem Cafè, in dem wir am Nachmittag bereits ein Schweppes getrunken haben, zwei Halbliterflaschen mit dem örtlichen Lasko-Bier, wie alle Biere, die wir bisher auf dem Balkan bekamen, von vorzüglicher Qualität. Wir trinken das kühle Bier mit Genuss, ich suche im Internet ein Hotel in Meran, welches nahe bei den Gärten von Schloss Trauttmansdorff liegt, die Derek seiner Mutter bei einem Telefongespräch kurz vor der Abreise wärmstens ans Herz gelegt hat. Ursprünglich hatte ich nämlich geplant, einen Tag in Bozen zu verbringen, doch Meran ist das richtige Ziel, dort kann ich vielleicht eine Familienangelegenheit klären, doch davon später. Dann schlafen wir tief und fest.

Donnerstag, 23. Juni 2016

Aus dem Orient nach Mitteleuropa zurück

Nach den selbstgebastelten Morgenmahlzeiten in unserem Dubrovniker Appartement bekommen wir heute ein feudales Frühstück mit einem Buffet nach der Tradition guter US-Hotels. Am Nebentisch sitzen drei junge Amerikanerinnen, zwei von ihnen sichtlich schwanger, umgeben von einer Vielzahl kleiner Kinder, eines davon afro-amerikanisch. Wir rätseln beim Essen über ihren Familienstatus, es
Steinige Abhänge mit spärlichem Buschwerk
könnten sowohl drei unternehmunslustige Freundinnen sein, die ohne ihre Ehemänner einen Urlaub machen, die zweite Möglichkeit, dass ihre Männer irgendeinen Kongress in Mostar besuchen und die dritte - eine der drei sieht reichlich maskulin aus - dass wir es mit alleinerziehenden Lesben zu tun haben.

Als wir aus der Tiefgarage herausfahren, brennt die Sonne schon sengend auf die Strasse, wir schalten sofort die Klimaanlage ein. Die Fahrt führt wieder in langgezogenen Serpentinen durch hügeliges Gebiet, zu beiden Seiten kahle Berge. Plötzlich erscheint ein Schild mit dem Namen "Medugorje" und sofort
Die Kathedrale von Medjugorje
fällt mir ein, dass es sich hier um den jüngsten der berühmten Wallfahrtsorte nach Lourdes und Fatima handelt. Ich kann mich momentan nur erinnern, dass der Status dieses Orts umstritten ist, auch hier gibt es eine Quelle, der ähnlich der Quelle Masabielle in Lourdes eine heilende Wirkung zugeschrieben wird. Wir entschliessen uns spontan, die 7 km auf der Nebenstrasse zu investieren, um diesen neuesten der grossen Pilgerorte zu besuchen.

Die Strasse führt mit vielen Kurven hinunter in ein Tal, dann kommen die ersten Häuser, die meisten erst kürzlich gebaut, dann eine Art Boulevard, bestückt mit Andenkenläden,
Kurzer Blick ins Innere der Kathedrale
welche die üblich geschmacklosen Waren von Wahlfahrtsorten anbieten, die später auf den Vitrinen frommer Gläubiger landen, Rosenkränze, Heiligenbilder, gläserne Halbkugeln mit der Kirche und künstlichem Schneefall. Im Hintergrund dann eine moderne Kirche, etwas hinter ihr finden wir einen gigantischen Parkplatz, auf dem neben vielen Autos auch zahlreiche Busse parkieren. Es ist der Morgen eines normalen Wochentags und trotzdem wartet eine Menschentraube vor dem Seiteneingang der Kathedrale, aus dem Inneren schallt Gesang. Wir wollen uns das trotzdem ansehen und wählen den Haupteingang an der Vorderseite, dort mache ich kurz ein Foto und dann kehren wir wieder zu unserem Wagen zurück, leiden schon auf dem kurzen Weg unter der Hitze.

Als ich am Abend "Medjugorje" google, erhalte ich die folgenden Informationen: der Ort erreichte internationale Bedeutung in den 1980er Jahren, als Jugendliche von Marienerscheinungen berichteten, die jedoch weder vom Vatikan noch von den lokalen Bischöfen anerkannt werden, von Papst Franziskus steht eine endgültige Stellungnahme noch aus. Eine "Seherin" namens Ivankovic-Mijatovic übermittelt laufend Botschaften der Gottesmutter, eine in ihrem Besitz stehende Statue leuchtet im Dunkeln, was immer noch zehntausende Gläubige anzieht, obwohl der kroatische Chemiker Pavle Mocilac die leuchtende Substanz aufgrund des Farbsprektrums als Leuchtfarbe auf der Grundlage von Strontiumaluminat identifiziert hat. Ungeachtet der Ablehnung durch die Amtskirche wird dieser jüngste Wallfahrtsort jedes Jahr von über einer Million Pilger besucht, die neben Bosnien vorwiegend aus Kroatien aber auch Italien und Oesterreich stammen.

Eine wenig gastfreundliche Raststätte
Endlos zieht sich die Strasse hin, die Autocesta A1, auch "Dalmatinska Autocesta" genannt, ist die längste und wichtigste Verkehrsader, welche die Orte an der Adria mit Zagreb verbindet. Gegen Mittag machen wir Halt an einer der vielen Raststätten, welche hier "Odmoriste" heissen. Schon der kurze Weg vom Auto bringt uns ins Schwitzen und die Kühle im Verkaufsraum der Raststätte stellt einen krassen Unterschied dazu dar. Leider sehen wir, dass der Seitenflügel mit der Imbissecke durch Bänder abgetrennt ist, wir erfahren, dass die Bar geschlossen ist, obwohl man einen Mann hinter dem Tresen hantieren sieht. Also kaufen wir uns resigniert zwei Sandwiches, die besonders frisch sind, denn sie werden eben durch zwei Männer aus einem Kühlcontainer in die Regale geschichtet. Dann eine Episode welche uns zeigt, dass in Bosnien-Herzegowina immer noch Reste osteuropäisch-kommunistischer Mentalität vorhanden sind, ganz im Gegensatz zu den geschäftstüchtigen Kroaten und Slowenen, die in Punkto Geldmacherei bereits sehr weit in Mitteleuropa angekommen sind. Als ich zahlen will, weist der Mann an der Kasse meine Karte zurück, er könne momentan keine Sandwiches ausgeben, da diese infolge der soeben erfolgenden Lieferung noch nicht ins System eingebucht seien. Als ich ungehalten zu Illa sage, dass wir in diesem Falle die Sandwiche wieder in die Vitrine stellen um zur nächsten "Odmoriste" zu fahren, kann er plötzlich meine Karte annehmen. Jedoch in Punkto Bar bleibt er unbarmherzig, alle meine Vorhaltungen, auch die Proteste einheimischer Autofahrer, prallen an dem Mann ab. Er will uns nicht ein Mal erlauben, unsere Brote an einem der Tischchen zu verzehren, wir müssen nach aussen, wo wir hinter dem Gebäude in seinem Schatten ein Tischchen finden, wo die Temperatur ein wenig niedriger ist. Wir beeilen uns die Sandwiches zu verspeisen, spülen sie mit "Mineralni Voda" herunter. Dabei fällt mir ein dummer Witz ein, den ich ein Mal gehört habe. Sagt ein Mann: "es war schrecklich, die Temperatur betrug 40°C im Schatten!" Sagt darauf sein Kollege: "Idiot, warum musst Du denn im Schatten stehen?" Etwas später passieren wir die Grenze zu Kroatien, diesmal ohne Probleme.

Richtung Zagreb wird die Landschaft "mitteleuropäischer"
Langsam nähern wir uns Zagreb und plötzlich bemerken wir, dass die orientalisch anmutende Landschaft mit ihren steinigen mit Trockenbüschen bewachsenen Bergen zunehmend mitteleuropäischer wird, grüne Hügel mit dichten Wäldern, manchmal von einem Schloss gekrönt, in den Tälern saftige Wiesen, die mit kleinflächigen gepflegten Feldern abwechseln. Ein krasser Gegensatz zu der Landschaft um Mostar, wo man zwischen den Ortschaften oft viele Kilometer in der trockenen Wildnis kein Haus sah. Gegen vier Uhr passieren wir die Ausfahrt nach Zagreb. Wir wechseln nun auf die Autobahn A2, welche direkt zu unserem heutigen Tagesziel
Vor uns liegt Slowenien und damit die EU
Ljubljana führt, bereits wenige Kilometer hinter Zagreb überqueren wir die Grenze nach Slowenien und haben das Gefühl, dass wir uns mit einem Mal in einem Teil Oesterreichs befinden, denn sowohl die Bauart der Bauernhäuser, der Kirchen und der vielen Schlösser erinnern an dieses Land und auch an die Tatsache, dass es viele Jahrhunderte ein integrierender Bestandteil der altösterreichischen Monarchie war. Uebrigens müssen wir auch - ähnlich wie in Oesterreich -
Eine fast österreichsch anmutende Szenerie
ein "Pickerl" an der Grenze erstehen, dies erspart uns die zahlreichen Zahlstellen, die sowohl in Kroatien wie auch Bosnien in regelmässiger Folge entlang der Autobahn auftauchten. Die Autobahn führt am Zentrum von Ljubljana vorbei, bis zu unserer Ausfahrt, neben der unser Hotel namens "G Design" liegt, sind es noch 7 km.

Das kleine Hotel sieht dann sehr ordentlich aus, als wir die Tür unseres Zimmers öffnen, liegt tatsächlich ein bis zum äussersten gestyltes Ambiente vor uns. Allerdings bekomme ich den Eindruck, dass die hier am Werk gewesenen Designer vor allem auf
Endlich am Tagesziel - Das G Design Hotel bei Ljubljana
Aesthetik und Ueberraschungseffekte und weniger auf Funktionalität geachtet haben, z.B. brauche ich einige Zeit, bis ich durch "trial and error" herausgefunden habe, dass man die oberflächlich mit der Oberfläche fluchtenden Beschläge zum Oeffnen der Schranktüren erst mit einem Finger einseitig hereindrücken muss, damit die untere Seite sich nach aussen schwingt, worauf man sie greifen kann. Im Badezimmer sehe ich zum ersten Mal Hähne, in denen das Wasser hinter dem Hahn in einer offenen Rinne nach vorne fliesst.

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Der Badezimmerkubus mit teilweisem Durchblick
Nach einer erholsamen Dusche machen wir uns landfein. Auch das Badzimmer entspricht modernem Design, denn es ist ein Kubus mit einem hohen Seitenfenster, welches züchtigerweise auf der Höhe der primären Geschlechtsmerkmale eine Blende in Form eines silbernen Kreises trägt.

Zwischenzeitlich habe ich im Internet das Restaurant "Spayza" im Herzen der Altstadt gefunden. Als wir auf die Autobahn auffahren, erinnere ich mich daran, dass die Anzeige, welche die Restmenge Diesel anzeigt, schon vor Erreichung des Hotels seit einiger Zeit gebrannt hatte. Mit ein wenig Missbehagen fahre ich auf die Autobahn, jedoch sind es nur wenige Kilometer bis zur Ausfahrt, welche zum Zentrum Ljubljanas führt. Trotzdem bin ich froh, als wir von der Autobahn herausfahren und sofort anschliessend eine Tankstelle finden. Eine solche Situation ist mir seit Jahrzehnten nicht mehr passiert, in den ersten Jahren unserer Ehe war ich sorgloser und zweimal ging mir damals sogar das Benzin aus, glücklicherweise nie auf einer Autobahn. Am Telefon hatte mir Mama gestern gesagt, mein Grossvater Ignaz Feichtinger hätte immer den Wunsch gehabt, nach seiner Pensionierung in Laibach ein Haus zu kaufen, um in dieser Stadt seinen Ruhestand zu geniessen. Leider hat das Schicksal dies nicht wollen, es kam der erste Weltkrieg und wenig später starb er frühzeitig.

Eine der Brücken über die Ljubljanica in der Altstadt
Als wir bei beginnender Dämmerung die Brücke über die Ljubljanica zur Altstadt überqueren, kann ich seine Vorliebe verstehen und erinnere mich gleichzeitig auch an unseren ersten Besuch in dieser Stadt vor fast 50 Jahren, als Illa mich auf einer Geschäftsreise begleitete. Ich sollte damals im Auftrag meines Chefs, Prof. Marincek von der ETH Zürich mit sog. "Saugkokillen" Proben zur Analyse des Wasserstoffs aus einem der Schmelzöfen des nahe bei Ljubljana liegenden Stahlwerks Ravne nehmen. Diese Saugkokillen waren eine Erfindung meines Vaters und erlaubten die damals
Schema Vakuumsaugkokille
genaueste Wasserstoffanalyse in Metallen. Sie bestanden aus einem vakuumevakuierten Metallzylinder, der vorne eine dünnwandige Stahlspitze trug. Wurde diese Spitze in flüssigen Stahl getaucht, schmolz sie durch und eine definierte Stahlprobe erstarrte präzisionsgegossen im Inneren der Kokille, wobei die Probe sich vorher automatisch dicht mit der Kokille verschweisste, sodass flüchtiger Wasserstoff, der bei üblichen Probenahmen verloren ging, bestimmt werden konnte.

Am Vorabend dieser Probenahme gab es einen momentan unangenehmen Vorfall, der aber im Rückblick umso komischer wirkt. Wir kamen spät abends an der damaligen Grenze Jugoslawiens an und der Zollbeamte wünschte zu wissen, was sich im Inneren der seltsamen Metallzylinder befände. Ich antwortete darauf "Vakuum". Der Beamte wollte keine weiteren Erklärungen sondern suchte in seinen Vorschriften, zu welchem Ansatz "Vakuum" zu verzollen wäre. Er fand natürlich nichts und verlangte, ich sollte einen der Zylinder zur Inspektion öffnen. Dann machte ich einen dummen Witz, obwohl jedermann weiss, dass man mit Beamten, insbesondere wenn sie spätabends gereizt sind und speziell, wenn es sich um Beamte eines kommunistischen Staats handelt, keine Spässe machen sollte. Ich sagte dem Mann, dass in dem Augenblick, wo ich den Zylinder öffnen würde, das "Vakuum" verschwunden sei, es würde sich mit jugoslawischer Luft füllen, also mit einem Produkt seiner Heimat, sodass eigentlich ein negativer Zoll fällig wäre, denn diese Ware sei erst in seinem Land dazugekommen. Er fand das gar nicht lustig und nur die Tatsache, dass ich die Telefonnummer des Stahlwerksdirektors Loize Presern bei mir hatte, dessen Autorität auch übers Telefon den Zöllner einschüchterte, rettete mich davor, dass meine Kokillen nutzlos wurden.

Die Altstadt hat das typische Aussehen einer altösterreichischen Provinzstadt, schöne Repräsentationsgebäude im k.u.k.-Stil, die typische gelbe Fassade mit zahlreichen allegorischen Figuren, Kirchen mit Zwiebeltürmen, prächtige Hotels längs der Parkanlagen entlang des Flusses. Kurz hinter der Brücke leitet mich das Navi in eine Nebenstrasse und einen Moment später ist die Fahrt zu Ende, die Strasse ist durch massive Rundstangen aus rostfreiem Stahl versperrt. Gerade als ich im Rückwärtsgang auf die Hauptstrasse zurück will, kommt ein Geländewagen vor der Sperre zu stehen, Sekunden später sinken die Stangen in den Boden und ich folge dem Wagen kurzerhand hinein in die Altstadt. Hinter einer Kurve plötzlich eine kleine Kreuzung, Tische mit fröhlichen Menschen am Strassenrand, eine Band spielt alten Jazz. Da das Navi mir anzeigt, dass wir nur noch wenige Meter vom Ziel entfernt sind, lasse ich Illa aussteigen, damit sie unseren vom Hotel aus reservierten Tisch besetzt. Glücklicherweise finde ich wenige Augenblicke später eine Parklücke am
Carpaccio von Jakobsmuscheln
Strassenrand, das "Spajza" liegt genau gegenüber. Es ist ein uraltes Lokal, erinnert mich mit seiner dunklen Täferung und den Möbeln wieder mal ein wenig an die spanische Bodega im Niederdorf. Durch mehrere kleine Zimmer gelangen wir in einen Innenhof, auf dem viele Tische stehen, unser Tisch liegt auf der Rückseite einer grossen Leinwand, auf der gerade eines der Spiele der EM gezeigt wird, man kann die Spieler sehr schwach und seitenverkehrt sehen. Das Essen ist dann ein einziges Gedicht, als ersten Gang gibt es Jakobsmuscheln und dann kommt ein perfekt gebratener Petersfisch. Wir konstatieren, dass ein gütiges Schicksal in Bezug auf die Qualität
Ein absolut köstlicher Petersfisch
von Meeresfrüchten uns auf dieser Reise begleitet hat. Dazu bekommen wir einen wundervollen slowenischen Weisswein, dem ich allerdings - in Hinblick auf die Rückfahrt zum Hotel - nur spärlich zusprechen kann. Zum Dessert bekomme ich eine Schokoladekugel, die sich - nach Uebergiessen mit einer Flüssigkeit - innerhalb von Sekunden ihrer Hülle entledigt und das schmackhafte Innenleben preisgibt. Die Rückfahrt ist dann problemlos, als wir zur Sperre kommen, ist es diesmal ein freundlicher Mann, der sie mit Hilfe seiner Karte für uns öffnet.
Die beiden Geniesser nach dem Essen

Im Hotel schalten wir den Fernseher ein, denn heute ist der Tag des Plebiszits in Grossbrittanien, die Engländer entscheiden über den "Brexit", d.h. ob sie die EU verlassen werden. Auf ARD läuft gerade eine Talkshow, die ersten Hochrechnungen sind bereits bekannt, sie deuten tendentiell auf eine geringfügige Mehrheit der EU-Befürworter hin. Irgendwie sind wir erleichtert, dass der Brexit nicht eintreten wird, denn damit würde eine Periode der Unsicherheit in Europa einsetzen. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie die Stimmung in England sein wird, wenn das Land mit einer winzigen Mehrheit Mitglied bleibt. Es ist zu erwarten, dass die EU-Gegner, die bereits vor diesem Plebiszit mit brutalsten Mitteln und auch Lügengeschichten gekämpft haben, noch radikaler reagieren werden. Doch nun sind wir müde geworden und sinken in einen erholsamen Schlaf, der Tag und die Fahrt waren lange und der morgige Tag wird Gewissheit bringen, wie es mit Grossbrittanien weiter geht.